Anm. zu BAG: Kürzung des Urlaubs für die Elternzeit bedarf ausdrücklicher Erklärung des Arbeitgebers – diese ist nur während des Arbeitsverhältnisses zulässig
Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz
Das BAG hat mit Urteil vom 16.4.2024 (9 AZR 165/23) entschieden, dass der Urlaub von Arbeitnehmern in der Elternzeit nicht automatisch gekürzt werden kann. Dem Arbeitnehmer muss hierzu eine rechtsgeschäftliche Erklärung des Arbeitgebers im noch bestehenden Arbeitsverhältnis zugehen. Geschieht das erst nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses, ist eine Kürzung des Jahresurlaubs für jeden vollen Kalendermonat der Elternzeit um ein Zwölftel nicht mehr zulässig (Entscheidungszusammenfassung mit Praxishinweisen der Kanzlei Friedrich Graf von Westphalen & Partner mbB).
Sachverhalt:
Die Parteien streiten über Urlaubsabgeltung aus den Jahren 2015-2020.
Die klagende Arbeitnehmerin war bei der verklagten Arbeitgeberin vom 1.2.2009 bis zum 25.11.2020 mit einer monatlichen Bruttovergütung i.H.v. zuletzt EUR 3.700 angestellt. Seit dem Jahr 2010 belief sich die wöchentliche Arbeitszeit auf 36 Stunden bei einer Verteilung auf fünf Arbeitstage pro Woche. Der arbeitsvertragliche Jahresurlaub betrug 29 Arbeitstage.
Am 24.8.2015 befand sich die schwangere Klägerin mit ihrem ersten Kind in Mutterschutz; der Resturlaubsanspruch für das Jahr 2025 betrug 1 Arbeitstag. Im direkten Anschluss an die Mutterschutzfrist nahm die Klägerin Elternzeit in Anspruch. Daran schlossen sich nahtlos die Mutterschutzfristen anlässlich der Geburt eines weiteren Kindes an, nach deren Ablauf die Klägerin erneut Elternzeit bis zum 25.11.2020 nahm.
Die Klägerin kündigte das Arbeitsverhältnis am 8.7.2020 zum Ablauf der Elternzeit am 25.11.2020. Bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses hatte die Beklagte noch nicht erklärt, den auf die Elternzeit bezogenen Urlaub zu kürzen.
Am 15.3.2021 forderte die Klägerin die Beklagte unter Fristsetzung bis zum 31.3.2021 vergeblich auf, den Resturlaub aus den Jahren 2015-2020 abzugelten.
Die Klägerin machte mit ihrer Klage Urlaubsabgeltung für insgesamt 146 Arbeitstage Urlaub aus den Jahren 2015-2020 (1 Tag aus dem Jahr 2015 und je 29 Tage aus den Jahren 2016-2020) i.H.v. insgesamt EUR 24.932,42 brutto geltend, und sie stellte sich auf den Standpunkt, der Anspruch sei nicht verfallen und auch nicht verjährt.
Die Beklagte zahlte nicht und meinte, der Urlaubsanspruch könne auch noch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses für jeden vollen Kalendermonat der Elternzeit um ein Zwölftel gekürzt werden, jedenfalls seien etwaige Urlaubsansprüche aus den Jahren 2015-2017 verjährt.
Das Arbeitsgericht Freiburg hat der Klage stattgegeben. Das LAG Baden-Württemberg hat die Berufung der Beklagten mit Urt. v. 20.9.2022 (11 Sa 12/22) zurückgewiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Revision der Beklagten hatte vor dem BAG keinen Erfolg.
Das BAG stellte fest, dass auf Grund § 24 Satz 2 MuSchG eine Arbeitnehmerin Urlaub, den sie vor Beginn der Beschäftigungsverbote nicht oder nicht vollständig erhalten hat, auch noch nach Ablauf der Verbote im laufenden Jahr oder im Folgejahr nehmen kann, womit das Urlaubsjahr für das Fristenregime für einen Verfall gem. § 7 Abs. 3 BUrlG geregelt wird.
Während der sich anschließenden Elternzeit der Klägerin gingen die gesetzlichen Sonderregelungen in § 17 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 BEEG den allgemeinen Befristungsregelungen zum Urlaub in § 7 Abs. 3 BUrlG, wonach der Urlaub vom Grundsatz her bis zum Jahresende oder in den geregelten Ausnahmefällen bis zum 31.03 des Folgejahres zu nehmen ist, vor.
Die Urlaubsansprüche der Klägerin aus den Jahren 2015-2020 bestanden somit wegen der sich nahtlos aneinander anschließenden Mutterschutzfristen und der Elternzeiten auch noch nach dem Ende der zweiten Elternzeit und damit zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 25.11.2020 und waren nicht verfallen.
Zwar kann ein Arbeitgeber nach § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG den Erholungsurlaub, der einem Arbeitnehmer für das Urlaubsjahr zusteht, für jeden vollen Kalendermonat der Elternzeit um ein Zwölftel kürzen. Dazu ist nach der Rechtsprechung des BAG aber eine hierauf gerichtete rechtsgeschäftliche Erklärung des Arbeitgebers erforderlich, die dem Arbeitnehmer zugehen muss.
Das Kürzungsrecht besteht dabei nur, wenn der Anspruch auf Erholungsurlaub bei Zugang der Kürzungserklärung auch noch besteht. Das Kürzungsrecht kann nicht mehr ausgeübt werden, wenn das Arbeitsverhältnis bereits beendet ist und einem Arbeitnehmer damit bereits ein Anspruch auf Urlaubsabgeltung zusteht, der nur noch ein reiner Geldanspruch ist. Da die Beklagte den Urlaub während des Arbeitsverhältnisses nicht gekürzt hatte, die Erklärung im späteren Prozess reichte hierzu nicht aus, stand der Klägerin bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Anspruch auf Abgeltung des vollen und ungekürzten Urlaubs zu, den sie bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht erhalten hatte.
Der Urlaubsanspruch war entgegen der Ansicht der Beklagten auch nicht teilweise verjährt. Für die Verjährung ist relevant, wann der Urlaubsanspruch fällig ist. Dies ist vom Grundsatz her zumindest für den gesetzlichen Urlaub zu Beginn eines jeden Urlausjahres der Fall. Besonderheiten gelten nach der Entscheidung des BAG für die während der Beschäftigungsverbote vor und nach der Geburt sowie der Elternzeit entstandene Urlaubsansprüche. Der Urlaubsanspruch wird nach der Entscheidung nicht vor Ablauf der Mutterschutzfristen bzw. Beendigung der Elternzeit fällig – während des Beschäftigungsverbots bzw. der suspendierten Arbeitspflicht kann Verjährung deshalb nicht eintreten. Unabhängig davon beginnt die Verjährungsfrist nach unionsrechtskonformer Auslegung des § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB auch erst mit Ende des Jahres, in dem der Arbeitgeber seine Mitwirkungsobliegenheiten im Zusammenhang mit der Gewährung und Inanspruchnahme des gesetzlichen Mindesturlaubs erfüllt hat.
Seit dem 24.8.2015 bestand in Folge der Beschäftigungsverbote und der Elternzeiten keine Arbeitspflicht. Da die Klägerin in dieser Zeit weder die Gewährung ihres Urlaubs verlangen noch klageweise durchsetzen konnte, waren ihre Urlaubsansprüche auch nicht vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 25.11.2020 verjährt.
Im Ergebnis war es auch unschädlich, dass die Klägerin in den letzten 13 Wochen vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf Grund der Elternzeit keine Vergütung mehr erhalten hatte; auf die Vergütung in diesem Zeitraum ist grundsätzlich für die Berechnung der Urlaubsabgeltung abzustellen. Hat ein Arbeitnehmer in diesem Referenzzeitraum seine Arbeit unverschuldet versäumt, ist sein gewöhnlicher Arbeitsverdienst für die nach dem Arbeitsvertrag geschuldete regelmäßige Arbeitszeit zu Grunde zu legen. Zu den Zeiten unverschuldeter Arbeitsversäumnis zählen nach der Entscheidung des BAG auch Abwesenheitszeiten in Folge von Elternzeit.
Hinweise für die Praxis:
Die Entscheidung zeigt, wie teuer es für einen Arbeitgeber werden kann, wenn dieser vergisst, den Urlaub mit einer Erklärung, die dem Arbeitnehmer nachweisbar zugehen muss, für die Zeit der Elternzeit anteilig zu kürzen.
Die Kürzungserklärung kann nach der Entscheidung des BAG ausdrücklich oder auch stillschweigend abgegeben werden. Um auf der sicheren Seite zu sein, sollte die Kürzungserklärung möglichst ausdrücklich und im Streit auch nachweisbar abgegeben werden. Wenn der Arbeitgeber dies nicht getan hatte, hilft ihm evtl. eine Entscheidung des BAG vom 28.7.1992 (9 AZR 340/91), wonach es ausreichend sein kann, dass dem Arbeitnehmer – abweichend von seinem Urlaubsverlangen – nur der gekürzte Urlaub gewährt wird oder für ihn auf Grund sonstiger Umstände erkennbar ist, dass der Arbeitgeber sein Kürzungsrecht ausüben will. Darauf sollte sich aber ein Arbeitgeber möglichst nicht verlassen.
Ein Arbeitgeber sollte vor Beendigung eines jeden Arbeitsverhältnisses genau und unabhängig davon, wie das Arbeitsverhältnis endet, prüfen, ob vor dem Beendigungszeitpunkt noch eine Kürzungserklärung abgegeben werden sollte, wenn auch nur vorsorglich.
Für die Höhe der Urlaubsabgeltung bestätigte das BAG die Berechnung des LAG Baden-Württemberg. Dieses hatte ausgehend vom Bruttomonatsgehalts i.H.v. EUR 3.700 dieses zunächst auf ein Quartal hochgerechnet und bei einer Arbeitspflicht von 5 Arbeitstagen/Woche diesen Betrag durch 65 Arbeitstage dividiert. Für jeden Urlaubstag errechnete sich so ein Betrag i.H.v. EUR 170,77 (EUR 3.700 x 3 Monate ./. 65 Arbeitstage).
Autor: Rechtsanwalt Dr. Stefan Daub, Friedrich Graf von Westphalen & Partner mbB, Freiburg
Quelle: BAG, Urteil vom 16.4.2024 (9 AZR 165/23)