Anm. zu BAG: Vergütung bei Verlängerung der Arbeitszeit nach einem Erhöhungsverlangen des Arbeitnehmers gem. § 9 TzBfG
Teilzeit- und Befristungsgesetz
Das BAG hat mit Urteil vom 13.12.2023 (5 AZR 168/23) entschieden, dass die Arbeitsvertragsparteien bei Verlängerung der regelmäßigen Arbeitszeit auch die Auswirkungen auf die Vergütung vereinbaren müssen. Kommt es nicht zu einer vertraglichen Regelung, ist die lückenhaft gewordene Vereinbarung im Wege einer ergänzenden Vertragsauslegung anzupassen (Entscheidungszusammenfassung mit Praxishinweisen der Kanzlei Friedrich Graf von Westphalen & Partner mbB).
Sachverhalt:
Die Parteien haben über die Höhe einer monatlichen Zulage nach Aufstockung der Arbeitszeit der klagenden Arbeitnehmerin von Teil- auf Vollzeit gestritten.
Die Klägerin steht nach einer längeren Unterbrechung wieder seit dem 1.5.2014 mit der beklagten Arbeitgeberin, einem Krankenhaus, in einem Arbeitsverhältnis. Die Beklagte zahlte Vergütung für die Teilzeittätigkeit der Klägerin (50%) auf Basis des Bundes-Angestellten-Tarifvertrags in kirchlicher Fassung (BAT-KF), darüber hinaus eine in der Gehaltsabrechnung als „Leistungszulage“ ausgewiesene monatliche Zahlung i.H.v. EUR 250,-- brutto, wozu die Parteien im schriftlichen Arbeitsvertrag keine Vereinbarung geschlossen haben. Mit der Leistungszulage sollte die Differenz zwischen der von der Klägerin bei ihrer vorherigen Arbeitgeberin erzielten Monatsvergütung – auch dort hatte sie in Teilzeit mit 50% gearbeitet – und derjenigen, welche die Beklagte ihr bei Anwendung des BAT-KF für eine entsprechende Teilzeitbeschäftigung anbieten konnte, ausgeglichen werden. Hätte die Beklagte die Zulage nicht gezahlt, hätte die Klägerin ihre Tätigkeit nicht wieder aufgenommen.
Nachdem die Klägerin im Februar 2022 eine auf § 9 TzBfG gestützte Klage auf Erhöhung der Arbeitszeit erhoben hatte, einigten sich die Parteien außergerichtlich auf eine Erhöhung der Arbeitszeit ab dem 1.5.2022 auf Vollzeit. Die Beklagte zahlt seitdem zwar die Vergütung für die Tätigkeit in Vollzeit nach dem BAT-KF. Sie lehnte aber das Verlangen der Klägerin ab, auch die Zulage von EUR 250,-- brutto auf EUR 500,-- brutto entsprechend zu erhöhen. Sie begründete dies damit, dass es sich bei der streitgegenständlichen Zulage nicht um einen im Zusammenhang mit der Arbeitszeit der Klägerin stehenden Vergütungsbestandteil handele, sondern um eine monatliche Pauschale zu Abwerbungszwecken.
Das Arbeitsgericht Düsseldorf hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das LAG Düsseldorf (Urteil vom 19.4.2023, 12 Sa 20/23) der Klage stattgegeben.
Entscheidungsgründe:
Die Revision der Beklagten hatte beim BAG keinen Erfolg.
Ein Anspruch auf Anpassung der Vergütung bei Aufstockung der Arbeitszeit folgt nach Ansicht des BAG auf Grund des eindeutigen Wortlauts der gesetzlichen Regelung nicht aus § 9 TzBfG. Weder § 8 TzBfG bei der Verringerung noch § 9 TzBfG bei der Verlängerung der Arbeitszeit enthalten Regelungen zum Schicksal der Gegenleistung. Eine den gesetzlichen Wortlaut übersteigende Auslegung komme nicht in Betracht. Sowohl bei der Verkürzung der Arbeitszeit als auch bei deren Verlängerung überlasse das Gesetz die Folgen für die Gegenleistung der Vereinbarung durch die Arbeitsvertragsparteien. Zum Schutz teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer untersage indes § 4 Abs. 1 Satz 2 TzBfG eine Diskriminierung (auch) bei der Vergütung – Teilzeitbeschäftigte haben entsprechend dem Pro-rata-temporis-Grundsatz einen Anspruch auf Vergütung.
Die Verpflichtung der Beklagten zur Erhöhung der streitigen Zulage folgt nach der Entscheidung des BAG aus einer (ergänzenden) Auslegung der arbeitsvertraglichen Vereinbarungen. Das BAG ging auf Grund der Feststellungen des LAG davon aus, dass sich die Parteien bei den Verhandlungen bei Einstellung mündlich darauf verständigt hatten, der Klägerin die bei bloßer Vergütung nach dem BAT-KF entstehende Differenz zu dem beim vorherigen Arbeitgeber erzielten Gehalt auszugleichen. Mit dieser Feststellung handele es sich bei der Leistungszulage um einen im Verhältnis von Leistung und Gegenleistung stehenden Vergütungsbestandteil, der rechtlich als eine statische übertarifliche Zulage einzuordnen sei. Um die Klägerin (erneut) für ein Arbeitsverhältnis zu gewinnen, habe die Beklagte trotz der im schriftlichen Arbeitsvertrag formularmäßig vereinbarten Geltung des BAT-KF de facto eine übertarifliche Vergütung versprochen und auch gezahlt. Mit der Aufstockung auf Vollzeit sei das auf die bisherige Teilzeitbeschäftigung zugeschnittene sog. Synallagma von Leistung und Gegenleistung außer Balance geraten und habe der Neujustierung bedurft, der auf die bisherige Teilzeitarbeit zugeschnittene Arbeitsvertrag sei lückenhaft geworden. Auf gesetzliche Regelungen habe im Hinblick auf die Vergütung im entschiedenen Fall nicht zurückgegriffen werden können, § 9 TzBfG konnte nicht ausgelegt werden.
Maßgeblich sei deshalb, was redliche Parteien bei einer angemessenen Abwägung der beiderseitigen Interessen nach Treu und Glauben zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses vereinbart hätten. Entsprechend der im Arbeitsleben herrschenden Anschauung und durchweg geübten Praxis, die Höhe der Vergütung auch am zeitlichen Umfang der Arbeitsleistung zu bemessen, hätten redliche Vertragspartner bei der Aufstockung von Teilzeit auf Vollzeit zumindest eine quotal dem Umfang der Erhöhung der Arbeitszeit entsprechende Erhöhung der Vergütung vereinbart. Anhaltspunkte für ein von den Parteien gewolltes Abweichen von diesem Üblichen lägen nicht vor, weshalb der Klägerin der Anspruch zustehe.
Hinweise für die Praxis:
Die Entscheidung des BAG ist gut begründet. Nunmehr ist klar, dass es keine gesetzliche Regelung für die Erhöhung der Vergütung bei Erhöhung der Arbeitszeit nach einem Verlangen des Arbeitnehmers gem. § 9 TzBfG gibt. Die Parteien sollten sich deshalb bei einer Änderung der Arbeitszeit auch überlegen, was für die Gegenleistung gelten soll.
Das BAG formuliert dabei den Grundsatz, dass die ergänzende Vertragsauslegung bei einer Aufstockung zumindest eine quotal dem Umfang der Erhöhung der Arbeitszeit entsprechende Erhöhung der Vergütung ergeben wird. Wenn etwas davon Abweichendes gelten soll, muss dies vereinbart werden. Will ein Arbeitgeber sich darauf berufen, muss er dies nachweisen.
Arbeitgeber und Arbeitnehmer sollten deshalb bei jeder Veränderung der Arbeitszeit auch die Gegenleistung des Arbeitgebers zumindest kurz mitregeln. Das sollte auch selbstverständlich sein, da Arbeitgeber daran denken müssen, dass Änderungen der Arbeitszeit oder auch der Vergütung wesentliche Vertragsbedingungen betreffen (vgl. hierzu §§ 2 Abs. 1 Satz 2 Ziff. 8 und 7 NachwG) und insoweit auch die bußgeldbewehrte Nachweispflicht gem. §§ 3 Satz 1 i.V.m. § 4 Abs. 1 NachwG zu beachten ist.
Autor: Rechtsanwalt Dr. Stefan Daub, Friedrich Graf von Westphalen & Partner mbB, Freiburg
Quelle: BAG, Urteil vom 13.12.2023 (5 AZR 168/23)