Anm. zu LAG Baden-Württemberg: Bezugnahmeklausel – Gleichstellungsabrede – Wechsel des Arbeitnehmers in neues Tarifgebiet – Neuvertrag
Arbeitsrecht
Das LAG Baden-Württemberg hat in seinem Urteil vom 31.1.2024 entschieden, dass wenn in einer Vereinbarung im bestehenden Arbeitsverhältnis die Formulierung verwendet wird »Im Übrigen verbleibt es bei den bisherigen arbeitsvertraglichen Bedingungen«, sich gerade dadurch die arbeitsvertragliche Rechtslage und die Bedingungen im Arbeitsverhältnis ganz entscheidend ändern können (Entscheidungszusammenfassung mit Praxishinweisen der Kanzlei Friedrich Graf von Westphalen & Partner mbB).
Sachverhalt:
Die Parteien streiten über Differenzvergütungsansprüche des Klägers und in diesem Zusammenhang über die Frage, ob auf die Berechnung der klägerischen Vergütung auch nach dem Wechsel des Klägers vom Betrieb L. (Baden-Württemberg) in den Betrieb S. (Rheinland-Pfalz) weiterhin eine Verdienstsicherung nach den Vorschriften des Manteltarifvertrags für die Beschäftigten in der Metall- und Elektroindustrie in Nordwürttemberg/Nordbaden (MTV NW/NB) bzw. ab 1. Januar 2022 nach den Vorschriften des ablösenden Manteltarifvertrags Baden-Württemberg (MTV BW) durchzuführen ist unter Zugrundelegung des dem Kläger mitgeteilten Alterssicherungsbetrags.
Die Beklagte ist auf dem Gebiet der Filtration tätig. Sie hat ihren Stammsitz in L. Weitere Produktionsstätten unterhält die Beklagte in S., Sb. und M. Die Beklagte ist in Baden-Württemberg Mitglied des Verbands der Metall- und Elektroindustrie Baden-Württemberg (Südwestmetall) und in Rheinland-Pfalz Mitglied des Verbands der pfälzischen Metall- und Elektroindustrie (Pfalzmetall).
Der Kläger wurde ab 26. März 1990 bei der Beklagten im Werk L. eingestellt und war dort tätig als Produktionsmitarbeiter. Der Kläger ist kein Mitglied einer Gewerkschaft.
Grundlage des ursprünglich begründeten Arbeitsverhältnisses war der schriftliche Arbeitsvertrag vom 1. März 1990. Darin heißt es unter anderem:
»Für Ihr Arbeitsverhältnis gelten die gesetzlichen Vorschriften, die Tarifbestimmungen für Arbeiter der Metallindustrie in Nordwürttemberg und Nordbaden sowie die Betriebsordnung und die Betriebsvereinbarungen unseres Unternehmens.«
Mit Schreiben vom 30. Januar 2019 übermittelte die Beklagte dem Kläger aus Anlass des Erreichens des 54. Lebensjahrs eine Mitteilung über die (tarifliche) Alterssicherung. Der Alterssicherungsbetrag wurde mit 4.044,57 Euro mitgeteilt.
Die Beklagte legte am Standort L. die Produktion still. Dies erfolgte stufenweise bis 31. Dezember 2022. Hierfür schloss die Beklagte mit ihrem Betriebsrat einen Interessenausgleich und einen Sozialplan.
Mit Schreiben vom 26. März 2021 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass dieser mit Wirkung ab 1. Oktober 2021 nach S. versetzt werde. Zu den Arbeitsbedingungen lautet es in diesem Schreiben unter anderem wie folgt:
»- Arbeitsort: | S. |
- Position: | Montagearbeiter |
- Eingruppierung: | E03 gem. ERA-TV für die Metall- und Elektroindustrie Rheinland-Pfalz |
- Arbeitszeit: | 35h/Woche (2-Schicht) |
Auf Ihre tarifvertraglich zugesicherte und entgeltgruppenbezogene Grundvergütung hat der Wechsel an den zuvor genannten Standort keine Auswirkung. Für die bisher gewährten außertariflichen Zulagen (z.B. Akkordzuschläge) gelten die betrieblichen Regelungen des aufnehmenden Betriebs. Im Übrigen verbleibt es bei den bisherigen arbeitsvertraglichen Bedingungen.«
Der Kläger war mit der Versetzung nach S. einverstanden und arbeitet dort seit 1. Oktober 2021.
Die Beklagte rechnete das Entgelt des Klägers fortan auf der Grundlage der EG 2 des ERA-TV RP ab. Dabei wurde zudem noch eine Position „ERA-RP: Kor. Prämie § 4 (2)“ in Abzug gebracht. Die Differenz des sich hieraus ergebenden Grundentgelts zum Grundentgelt gem. der vormals bezahlten EG 3 nach dem ERA-TV BW wurde durch einen „Ausgleich Wahloption“ ausgeglichen. Nicht ausgeglichen wurden dagegen weitere Differenzen bei Entgeltbestandteilen, die bislang in den Alterssicherungsbetrag eingeflossen sind. Um diese Differenzen streiten die Parteien.
Entscheidungsgründe:
Das LAG hat das klagabweisende Urteil des Arbeitsgerichts auf die Berufung hin abgeändert, die geltend gemachten Differenzvergütungsansprüche zugesprochen und die Revision zum BAG zugelassen, die dort unter dem Az. 4 AZR 44/24 anhängig ist.
Bei der arbeitsvertraglichen Bezugnahme auf die Tarifbestimmungen für Arbeiter der Metallindustrie in Nordwürttemberg/Nordbaden handele es sich um eine sogenannte Gleichstellungsabrede i.S.d.. früheren Rechtsprechung des Vierten Senats des BAG. Nach der früheren Rechtsprechung des Vierten Senats waren bei entsprechender Tarifgebundenheit des Arbeitgebers Bezugnahmeklauseln in den Arbeitsverträgen in aller Regel als Gleichstellungsabreden auszulegen (BAG 19. Oktober 2011 - 4 AZR 811/09 -). Es galt die widerlegliche Vermutung, dass es einem an arbeitsvertraglich in Bezug genommene Tarifverträge gebundenen Arbeitgeber nur darum ging, durch die Bezugnahme die nicht organisierten Arbeitnehmer mit den organisierten hinsichtlich der Geltung des in Bezug genommenen Tarifwerks gleichzustellen.
Diese Rechtsprechung hat der Senat für vertragliche Bezugnahmeregelungen, die nach dem Inkrafttreten der Schuldrechtsreform am 1. Januar 2002 vereinbart worden sind, aufgegeben. Er wendet die Auslegungsregel aus Gründen des Vertrauensschutzes jedoch weiterhin auf Bezugnahmeklauseln an, die vor dem Inkrafttreten der Schuldrechtsreform am 1. Januar 2002 vereinbart worden sind (BAG v. 13.5.2015, 4 AZR 244/14).
Diese Voraussetzungen seien vorliegend erfüllt Auch wenn es der arbeitsvertraglichen Bezugnahme an einer ausdrücklichen Regelung ermangelt, dass die „jeweils geltenden“ Tarifverträge Anwendung finden sollen, seien solche Bezugnahmeklausel dennoch i.d.R. nicht als statische, sondern als dynamische Bezugnahmen auszulegen, wenn es an einer konkreten Benennung des in Bezug genommenen Tarifvertrags nach einem bestimmten Datum oder einer nicht auf einen anderen Nachfolgetarifvertrag übertragbaren Bezeichnung fehlt (BAG v. 19.10.2011, 4 AZR 811/99).
Anhaltspunkte für eine große dynamische Bezugnahme (Tarifwechselklausel) lägen dagegen nicht vor. Hierfür fehle es an einem Verweis auf die für den Betrieb in fachlicher, räumlicher und zeitlicher Hinsicht jeweils einschlägigen Tarifverträge in der jeweils gültigen Fassung (ErfK/Franzen 23. Aufl. § 3 TVG Rz. 36).
Folge dieser Auslegung der Vertragsklausel als Gleichstellungsabrede in Form einer kleinen dynamischen Bezugnahme sei, dass jedenfalls bei Fortgeltung der Tarifbindung des Arbeitgebers und bei fortbestehender Einschlägigkeit der Anwendungsbereiche der Tarifverträge dynamisiert die jeweils geltenden einschlägigen Tarifverträge auf das Arbeitsverhältnis zur Anwendung gebracht werden könnten. Diese Gleichstellungsabrede in Form einer kleinen dynamischen Bezugnahme für Ihre jedoch dazu, dass bei einem Arbeitsplatzwechsel, der zu einem Herauswachsen des Arbeitnehmers aus dem Anwendungsbereich der in Bezug genommenen Tarifverträge führt, diese Tarifverträge auch keine Geltung mehr beanspruchen könnten. Denn ein aus dem Tarifgebiet fallender (kraft Gewerkschaftsmitgliedschaft) tarifgebundener Arbeitnehmer sei an die alten Tarifverträge (hier: MTV NW/NB, MTV BW) nicht kraft Nachbindung oder Nachwirkung weiter gebunden. Er sei vielmehr (neu) originär an die Tarifverträge im neuen Tarifgebiet (hier: Rheinland-Pfalz) gebunden. Folge sei demnach, dass für den nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer mit Gleichstellungsabrede die bisherigen Tarifverträge auch nicht mehr gelten könnten.
Der MTV NW/NB, bzw. der MTV BW mit seiner Verdienstsicherung gelte jedoch trotz dieser Feststellungen weiter, weil mit der vertraglichen Abrede im Versetzungsschreiben vom 26. März 2021 der Charakter der Bezugnahmeklausel als Gleichstellungsabrede entfallen sei, weshalb eine Gleichstellungsbindung nunmehr nicht mehr besteht.
Die Parteien hätten nämlich vorliegend die Bezugnahme auf die baden-württembergischen Tarifverträge nochmals neu zum Gegenstand ihrer vertraglichen Abrede gemacht und diese bestätigt. Das Versetzungsschreiben vom 26. März 2021 enthält entgegen der Annahme des Arbeitsgerichts nicht nur eine Weisung der Beklagten hinsichtlich des Orts der vom Kläger zu erbringenden Arbeitsleistung. Vielmehr enthält das Schreiben auch eine Entgeltregelung. Die Beklagte habe nämlich die Entgeltzusage erteilt, dass trotz mitgeteilter Eingruppierung der neuen Stelle in die EG 2 nach dem ERA-TV RP diese Einstufung „keine Auswirkungen“ auf „die tarifvertraglich zugesicherte und entgeltgruppenbezogene Grundvergütung“ habe. Dies sei auch entsprechend umgesetzt worden. In den Entgeltabrechnungen sei die Grundvergütung nach dem ERA-TV RP ausgewiesen worden nebst dem Korrekturbetrag nach § 4 Abs. 2 des Tarifvertrags zur Einführung des Entgeltrahmenabkommens für die Metall- und Elektroindustrie Rheinland-Pfalz. Die Grundentgeltdifferenz zur bisherigen Vergütung nach der EG 3 ERA-TV BW sei durch einen „Ausgleich Wahloption“ ausgeglichen worden.
Dabei sei es aber nicht verblieben. Vielmehr habe die Beklagte dem Kläger ergänzend zugesichert, dass es im Übrigen bei den bisherigen vertraglichen Bedingungen verbleibe. Zu den bisherigen vertraglichen Bedingungen gehörte aber auch die kleine dynamische Bezugnahme auf die Tarifverträge der Metallindustrie in Baden-Württemberg, somit auch auf den MTV NW/NB, bzw. den MTV BW. Diese Bezugnahme wurde somit erneut Gegenstand einer rechtsgeschäftlichen Willensbildung.
Folge dieser rechtsgeschäftlichen Bestätigung des Bezugnahmewillens sei, dass nunmehr die Auslegungsmaßstäbe für „Neuverträge“ maßgebend seien. Damit handelte es sich nicht mehr nur um eine bloße Gleichstellungsabrede, sondern um eine ausdrückliche arbeitsvertragliche und dynamische Inbezugnahme. Inhalt des Arbeitsvertrages des Klägers sei demnach ab der Versetzung eine kleine dynamische Bezugnahme auf die baden-württembergischen Tarifverträge ohne Tarifwechselklausel und ohne Gleichstellungsbindung.
Hinweis für die Praxis:
Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg befindet sich in Übereinstimmung mit der Rechtsberatung des Bundesarbeitsgerichts, dass bei arbeitsvertraglichen »Bestätigungsabreden« auf Grund zwischenzeitlich geänderter Rechtsprechung zur Auslegung dieser Abreden eine wesentliche Änderung der Rechtslage eintreten kann.
Dies wird zwar häufig nicht die Intention des Vertragsverfassers gewesen sein, der gerade keine Änderung der Rechtslage im Sinn hatte. Gerade deshalb ist diese Rechtsprechung bei der Erstellung von Vereinbarungen im bestehenden Arbeitsverhältnis unbedingt zu beachten, will man arbeitgeberseits unliebsame Überraschungen vermeiden, weil sich durch die verwendete Formulierung »Im Übrigen verbleibt es bei den bisherigen arbeitsvertraglichen Bedingungen« die arbeitsvertragliche Rechtslage und die Bedingungen im Arbeitsverhältnis eben doch deutlich verändert haben.
Autor: Rechtsanwalt Dr. Christoph Fingerle, Friedrich Graf von Westphalen & Partner mbB, Freiburg
Quelle: LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 31.1.2024 (4 Sa 24/23)