Anm. zu LAG Baden-Württemberg: Keine Arbeitnehmereigenschaft bei Tätigkeit an einer privaten Heilpraktikerschule – Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten nicht eröffnet
Arbeitsgerichtsgesetz
Das LAG Baden-Württemberg hatte in seinem Urteil vom 10.12.2024 (2 Ta 5/24) über die Arbeitnehmereigenschaft einer Dozentin an einer privaten Heilpraktikerschule zu entscheiden. Es lehnte diese ab und sah insofern den Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten als nicht eröffnet an (Entscheidungszusammenfassung mit Praxishinweisen der Kanzlei Friedrich Graf von Westphalen & Partner mbB).
Sachverhalt:
Die Klägerin war seit 2013 als Dozentin an einer privaten Heilpraktikerschule tätig. Die Beklagte, die als privater Anbieter auf dem Gebiet der Erwachsenenbildung bundesweit agiert, bot an 55 Standorten sowie online Kurse zur Vorbereitung auf die Überprüfung durch das Gesundheitsamt an, welche für die Erlangung der Heilpraktikererlaubnis erforderlich ist. Die Klägerin führte an verschiedenen Standorten wöchentlich zwischen sechs und 33 Unterrichtseinheiten à 45 Minuten durch und erzielte daraus einen monatlichen Verdienst von etwa 3 000 €.
Die Vergütung und Organisation der Lehrtätigkeit erfolgte auf Basis von Einzellehraufträgen, die die Klägerin über ein internes Online-Dozentenportal eigenständig auswählen konnte. Inhalt, Ort und Zeit der Unterrichtseinheiten waren von der Beklagten vorgegeben. Für die Annahme der Lehraufträge war die Zustimmung der Klägerin erforderlich, wobei die tatsächliche Durchführung der Kurse ebenfalls an festgelegte Vorgaben gebunden war. Neben ihrer Tätigkeit für die Beklagte war die Klägerin als selbständige Heilpraktikerin und in einem eigenen Coaching- und Seminarbetrieb tätig.
Im Mai 2024 kündigte die Beklagte alle bestehenden Lehraufträge mit der Klägerin fristlos und beendete die Zusammenarbeit endgültig. Die Klägerin erhob daraufhin Klage vor dem Arbeitsgericht und beantragte die Feststellung, dass ein Arbeitsverhältnis bestand, welches nicht wirksam gekündigt worden sei. Sie berief sich auf eine persönliche und wirtschaftliche Abhängigkeit von der Beklagten, da die Dozententätigkeit durch enge Vorgaben zu Inhalt, Ort und Zeit der Lehraufträge sowie die umfassende organisatorische Einbindung im Sinne eines Arbeitsverhältnisses ausgestaltet sei.
Die Beklagte bestritt die Arbeitnehmereigenschaft der Klägerin und verwies auf die freie Gestaltungsmöglichkeit der Klägerin bei der Annahme und Durchführung der Lehraufträge. Zudem argumentierte sie, dass ihre Tätigkeit mit der Tätigkeit von Volkshochschuldozenten vergleichbar sei, bei denen regelmäßig keine persönliche Abhängigkeit vorliege. Sie rügte zudem die Zulässigkeit des Rechtswegs zu den Arbeitsgerichten. Das Arbeitsgericht sah den Rechtsweg als eröffnet an, was die Beklagte im Beschwerdeverfahren vor dem LAG anfocht.
Entscheidungsgründe:
Das LAG Baden-Württemberg entschied, dass der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten nicht eröffnet ist, da kein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien besteht. Die Tätigkeit der Klägerin sei nicht mit der von Lehrern an allgemeinbildenden Schulen vergleichbar, sondern mit der Tätigkeit freiberuflicher Dozenten, wie sie etwa an Volkshochschulen üblich ist.
Gegen die Annahme eines Arbeitsverhältnisses spricht dem Urteil des Landesarbeitsgerichts nach insbesondere die eigenverantwortliche Organisation der Klägerin: Die Klägerin konnte frei entscheiden, ob und für welche Lehraufträge sie sich bewerben wollte. Diese Aufträge wurden individuell vereinbart und entzogen sich einer Direktionsgewalt der Beklagten.
Auch die fehlende persönliche Abhängigkeit führt der Senat als Argument gegen ein bestehendes Arbeitsverhältnis an. Denn es gab im konkreten Fall keine umfassende Weisungsbindung. Methodische und didaktische Entscheidungen lagen bei der Klägerin. Die Vorgaben der Beklagten, etwa zu Inhalten oder Rahmenbedingungen, reichten nicht aus, um eine weisungsgebundene Tätigkeit zu begründen.
Es läge auch kein „Crowdworker-Fall“ vor: Anders als bei der BAG-Entscheidung zu Crowdworkern (BAG v. 1.12. 2020, 9 AZR 102/20) fehlte ein Anreizsystem oder wirtschaftlicher Zwang zur Annahme weiterer Aufträge. Die Lehraufträge waren wirtschaftlich eigenständig und bedeutend.
Zudem betonte der Senat, dass die sozialrechtliche Einstufung für die Einordnung des Vertragsverhältnisses zwischen den Parteien ohne Relevanz sei: Auch wenn die Tätigkeit sozialversicherungspflichtig sein könnte, ergebe sich daraus nicht automatisch die Annahme eines Arbeitsverhältnisses mit der Folge der Eröffnung des Arbeitsgerichtswegs. Das Gericht verwies den Fall an das Landgericht Koblenz, da es sich um eine bürgerlich-rechtliche Streitigkeit handelt, für die die ordentliche Gerichtsbarkeit zuständig ist.
Hinweis für die Praxis:
Dieses Urteil verdeutlicht die Abgrenzung von Arbeits- und freien Dienstverhältnissen bei Lehrtätigkeiten. Entscheidend sind nicht nur formale Vertragsbezeichnungen, sondern insbesondere die tatsächliche Ausgestaltung der Vertragsbeziehung. Dozenten, die flexibel Lehraufträge annehmen und ihre Tätigkeit eigenständig gestalten können, sind regelmäßig keine Arbeitnehmer. Unternehmen, die mit externen Dozenten arbeiten, sollten Verträge und tatsächliche Abläufe klar dokumentieren, um spätere arbeitsrechtliche Streitigkeiten zu vermeiden.
Für anwaltliche Beratung bleibt zu beachten, dass sozialrechtliche Kriterien von arbeitsrechtlichen abweichen können und der Gesamtumstand des Einzelfalls stets entscheidend ist.
Autoren: Rechtsanwalt Dr. Christoph Fingerle und Rechtsanwältin Elsa Rein, Friedrich Graf von Westphalen & Partner mbB, Freiburg
Quelle: LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 10.12.2024 (2 Ta 5/24)