Anm. zu LAG München: Vorwurf des Staatsfaschismus – Kündigung einer Referentin in KZ-Gedenkstätte wirksam

Das LAG München hat mit Urteil vom 18.7.2023 (7 Sa 71/23) entschieden, dass eine Mitarbeiterin der Gedenkstätte Dachau nicht mehr geeignet ist, Führungen in einer KZ-Gedenkstätte abzuhalten, wenn sie auf einer Demonstration gegen Corona-Maßnahmen dem Staat Faschismus vorwirft (Entscheidungszusammenfassung mit Praxishinweisen der Kanzlei Friedrich Graf von Westphalen & Partner mbB).

Sachverhalt

Die Klägerin hatte laut Gericht Ende Januar 2022 bei einer Kundgebung gegen die Corona-Maßnahmen vor etwa 3 000 Teilnehmern gesprochen. „Wir haben es hier mit der schärfsten Faschisierung im Staat und Gesellschaft zu tun. Seit der Gründung der Bundesrepublik. … Und ihr seht die Ignoranz dieses Staates, dieses reaktionär faschistoiden Staates, der meint, er kann sich abschütteln“ , sagte sie demnach. Die Beklagte lud die Klägerin daraufhin zum Personalgespräch ein, stellte sie dann mit sofortiger Wirkung von der Arbeitsleistung frei und kündigte ihr anschließend ordentlich zum 30.6.2022.

Die von der Klägerin hiergegen erhobene Kündigungsschutzklage hatte das ArbG München abgewiesen und entschieden, dass die Kündigung als personenbedingte Kündigung wirksam ist, weil der Klägerin auf Grund ihres Verhaltens und damit einhergehender begründeter Zweifel an ihrer Verfassungstreue die Eignung für die Ausübung der vertraglich geschuldeten Tätigkeit fehlt. Das Verhalten der Klägerin berühre die allgemeine Aufgabenstellung der Beklagten und wirke in die Gedenkstätte hinein.

Entscheidungsgründe

Das LAG München hat – ebenso wie das erstinstanzliche Gericht – mit der gebotenen Klarheit die Klage gegen die Kündigung zurückgewiesen. Wer Führungen in einer KZ-Gedenkstätte wie Dachau mache und die Besucher betreue, dürfe seinen demokratisch gewählten, staatlichen Arbeitgeber nicht mit einem Faschistenstaat gleichstellen, begründete das LAG nun seine Entscheidung. Eine solche Geisteshaltung und die damit einhergehende Herabwürdigung der Demokratie stünden auch nicht im Einklang mit dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder.

Die Aufgabe der Klägerin habe gerade darin bestanden, Besucher durch das ehemalige Lager der Gedenkstätte Dachau zu führen, die historischen Abläufe zu erläutern und über das Lagerleben und das Schicksal der Häftlinge zur berichten. Die zutreffende Wiedergabe von historischen Fakten und der Respekt vor der Geschichte der Gedenkstätte sei essenzielle Voraussetzung für diese Tätigkeit. Die Fortsetzung eines Arbeitsverhältnisses sei der Arbeitgeberin somit nicht zuzumuten, so das LAG München. Die Frau war seit Januar 2019 für 450 Euro brutto beschäftigt. Das Urteil ist noch nicht rkr.

Hinweise für die Praxis

Das Berufungsgericht gibt ein gutes Signal für den Umgang mit rechtsradikalem Gedankengut. Die Berufungsgerichte verfolgen jedoch bislang keine einheitliche Linie. Im Fall eines Lehrers, der die Impfpolitik mit der Unrechtsherrschaft im Nationalsozialismus verglichen hatte, entschied das LAG Berlin-Brandenburg noch anders: Das Gericht betonte die Meinungsfreiheit und maß dem Lehrerberuf des Klägers keine besondere Bedeutung zu (vgl. LAG Berlin-Brandenburg v. 15.6.2023, 10 Sa 1143/22).

Mitgliedschaft und aktives Eintreten des Arbeitnehmers für eine verfassungsfeindliche Organisation können Zweifel des Betroffenen erwecken. Sie führen aber nicht ohne weiteres zur sozialen Rechtfertigung einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Entscheidend ist, inwieweit die außerdienstlichen politischen Aktivitäten in die Dienststelle hineinwirken und entweder die allgemeine Aufgabenstellung des öffentlichen Arbeitgebers oder das konkrete Aufgabengebiet des Arbeitnehmers berühren. Das wiederum hängt maßgeblich davon ab, welche staatlichen Aufgaben der Arbeitgeber wahrzunehmen hat, welche Verhaltenspflichten dem Arbeitnehmer obliegen und welches Aufgabengebiet innerhalb der Verwaltung er zu bearbeiten hat

Einfach zu entscheiden ist es, insbesondere für den weitgehend privaten agierenden Arbeitgeber, also unverändert nicht, sich jenseits den „links oder rechts der verfassungsmäßigen Grenzen“ im Privatbereich engagierenden Mitarbeiter arbeitsrechtlich zu sanktionieren.

Autor: Rechtsanwalt Dr. Andreas Imping, Friedrich Graf von Westphalen & Partner mbB, Köln

Quelle: Pressemitteilung Nr. 3/23 des LAG München v. 18.7.2023