Anm. zu LAG Schleswig-Holstein: Fehlerhafte Betriebsratsanhörung bei krankheitsbedingter Kündigung
Kündigungsschutzgesetz
Das LAG Schleswig-Holstein hat mit Urteil vom 10.1.2024 (3 Sa 74/23) entschieden, dass die in diesem Fall streitgegenständliche krankheitsbedingte Kündigung wegen einer fehlerhaften Betriebsratsanhörung unwirksam ist (Entscheidungszusammenfassung mit Praxishinweisen der Kanzlei Friedrich Graf von Westphalen & Partner mbB).
Sachverhalt:
Die Klägerin war seit dem 1. August 2020 als Bilanzbuchhalterin bei einer Wochenarbeitszeit von 35 Stunden bei der beklagten Arbeitgeberin beschäftigt. Die Klägerin war seit dem 6. Dezember 2021 dauerhaft arbeitsunfähig erkrankt. Bereits ab Oktober 2021 fiel die Klägerin mehrfach vorrübergehend wegen Erkrankung arbeitsunfähig aus. Von Mitte August 2022 bis Mitte Oktober 2022 wurde sie akut stationär behandelt und arbeitsunfähig entlassen.
Die Beklagte leitete vor Ausspruch der krankheitsbedingten Kündigung ein betriebliches Eingliederungsmanagement nach § 167 Abs. 2 SGB IX ein. Dazu wurde die Klägerin zunächst im Juni 2022 zu einem betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM) eingeladen. Die Klägerin lehnte das Angebot aufgrund ihres akuten Gesundheitszustandes jedoch ab. Dann lud die Beklagte unter dem 26. Oktober 2022 die Klägerin erneut zum betrieblichen Eingliederungsmanagement ein. Auch diese Einladung lehnte die Klägerin ab.
Am 4. November 2022 wurde schließlich der Betriebsrat zur krankheitsbedingten Kündigung der Klägerin angehört und stimmte dieser zu. Die Beklagte sprach sodann mit Schreiben vom 10. November 2022 eine krankheitsbedingte Kündigung gegenüber der Klägerin aus.
Gegen diese krankheitsbedingte Kündigung erhob die Klägerin Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht Elmshorn. Das Arbeitsgericht gab der Klage mit Urteil vom 5.4.2023 (2 Ca 1330 d/22) statt. Gegen das Urteil des Arbeitsgerichts legte die Beklagte Berufung vor dem Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein ein. Die Berufung blieb erfolglos.
Entscheidungsgründe
Das LAG Schleswig-Holstein bestätigte das Urteil des ArbG Elmshorn, dass die von der Beklagten ausgesprochene krankheitsbedingte Kündigung gemäß § 1 Abs. 1 KSchG unwirksam sei, da sie nicht sozial gerechtfertigt gewesen sei.
Die soziale Rechtfertigung von Kündigungen, die aus Anlass von Krankheiten ausgesprochen werden, ist in drei Stufen zu prüfen. Eine Kündigung ist im Falle einer langanhaltenden Krankheit sozial gerechtfertigt im Sinne des § 1 Abs 2 KSchG, wenn eine negative Prognose hinsichtlich der voraussichtlichen Dauer der Arbeitsunfähigkeit vorliegt (erste Stufe), eine darauf beruhende erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen festzustellen ist (zweite Stufe) und eine Interessenabwägung ergibt, dass die betrieblichen Beeinträchtigungen zu einer billigerweise nicht mehr hinzunehmenden Belastung des Arbeitgebers führen (dritte Stufe).
Vorliegend hatte sich der Arbeitgeber auf eine angeblich notwendige Beschäftigung einer anderen Mitarbeiterin auf dem Arbeitsplatz der Klägerin berufen. Seiner Auffassung nach sei ihm die Doppelbesetzung nicht zuzumuten. Dem LAG war jedoch unklar, weshalb die Beklagte auf eine dauerhafte interne Lösung setzen musste, statt eine externe befristete Lösung zu versuchen. Das LAG beruft sich konkret darauf, dass jeder Vortrag, die Beklagte habe diesbezüglich erfolglos Anstrengungen unternommen, fehle. Zudem werde nicht erklärt, warum die Stelle als Bilanzbuchhalterin nicht für maximal zwei Jahre durch eine Vertretung besetzt werden könne.
Das LAG war weiter der Auffassung, dass der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß angehört worden sei, da es am Vortrag der Beklagten, weshalb die ursprüngliche Stelle nicht durch befristete Einstellungen für die Rückkehr der Klägerin hätte freigehalten werden können, fehle. Zudem sei der Betriebsrat nicht über die dauerhaften Doppelbesetzung der Stelle der Klägerin informiert worden, obwohl dies aus Sicht des Arbeitgebers der wesentliche Grund für die Kündigung war.
Hinweis für die Praxis:
Das Urteils des LAG Schleswig-Holstein bestätigt erneut, dass der Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung für den Arbeitgeber nicht einfach zu begründen ist. Aufgepasst werden muss schon im Rahmen der Betriebsratsanhörung, der alle Fakten kennen muss, so dass er sich auch ein Bild über die Interessenabwägung machen kann. Eine gründliche Vorbereitung einer beabsichtigten krankheitsbedingten Kündigung zu einem sehr frühen Stadium vor allem in rechtlicher Hinsicht ist daher jedem Arbeitgeber anzuraten.
Autorin: Rechtsanwältin Annette Rölz, Local Partnerin bei Friedrich Graf von Westphalen & Partner mbB
Quelle: LAG Schleswig-Holstein, Urteil v. 10.01.2024 (3 Sa 74/23)