
BAG: Annahmeverzug und Unmöglichkeit der Erbringung der Arbeitsleistung
Arbeitsrecht
BAG, Urteil vom 04.12.2024, 5 AZR 276/23
Verfahrensgang: ArbG Aachen, 5 Ca 1620/19 vom 22.09.2020
LAG Köln, 5 Sa 753/20 vom 05.04.2023
Leitsatz:
§ 326 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 BGB findet keine Anwendung, wenn der Arbeitnehmer während des Annahmeverzugs erkrankt und ihm deshalb die Erbringung der Arbeitsleistung unmöglich wird.
Orientierungssätze:
1. Im Falle der Unmöglichkeit der Arbeitsleistung erhält § 326 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 BGB den Anspruch des Schuldners auf die Gegenleistung, wenn der Gläubiger für den Umstand allein oder weit überwiegend verantwortlich ist, aufgrund dessen der Schuldner nicht zu leisten braucht. Diese Bestimmung kommt im Arbeitsverhältnis zur Anwendung, wenn sich der Gläubiger (Arbeitgeber) bei Eintritt der Unmöglichkeit der Leistung nicht in Annahmeverzug befand, so etwa, wenn das Arbeitsverhältnis nicht erfüllbar war, ein Fall des § 297 BGB gegeben war oder der Arbeitnehmer die Arbeitsleistung entgegen §§ 294 ff. BGB nicht angeboten hatte. In diesen Fällen fehlt es an einer tatbestandlichen Schnittmenge mit § 615 BGB (Rn. 17).
2. Anderes gilt für das Verhältnis von § 615 BGB zu § 326 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 BGB, denn die tatbestandlichen Anforderungen beider Vorschriften überlappen sich, weil jeweils Annahmeverzug Tatbestandsvoraussetzung ist. § 326 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 BGB ist auf Sachleistungen zugeschnitten und weist dem Gläubiger auch die Risiken zu, die erst aus zusätzlichen, außerhalb der Gläubigersphäre liegenden Umständen drohen. Diese Regelung wird deshalb durch § 615 BGB als speziellere Regelung des Dienstvertragsrechts verdrängt (Rn. 18).
3. Für Fälle der Unmöglichkeit der Arbeitsleistung infolge Arbeitsunfähigkeit ist im Dienstvertragsrecht in § 616 BGB eine besondere, von der allgemeinen Regelung in § 326 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 BGB abweichende Rechtsfolge vorgesehen. Der Anspruch des Dienstverpflichteten auf die Gegenleistung wird hiernach nur für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit aufrechterhalten. Für Arbeitsverhältnisse gilt insoweit noch spezieller § 3 EFZG. Beide Vorschriften gehen der allgemeinen Regelung in § 326 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 BGB vor ("lex specialis derogat legi generali") (Rn. 19 ff.).
Tatbestand:
Die Parteien streiten in der Revision noch über Vergütungsansprüche des Klägers für die Zeit vom 1. Juni 2019 bis zum 31. Mai 2020.
Der Kläger ist seit 2009 bei der beklagten Stadt angestellt. Er war zunächst als Referent des damaligen Oberbürgermeisters im "Fachbereich Verwaltungsleitung" tätig. Nachdem es aus Umständen, die zwischen den Parteien streitig sind, zu Konflikten mit dem Oberbürgermeister kam, wurden dem Kläger in den folgenden Jahren von der Beklagten andere Aufgaben zugeteilt. Zwischen den Parteien besteht Streit, ob es sich hierbei um vertragsgerechte Tätigkeiten gehandelt und der Kläger diese ordnungsgemäß erfüllt hat.
Mit Schreiben vom 31. Mai 2019 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich sowie mit Schreiben vom 12. Juni 2019 ordentlich zum 31. Dezember 2019. Aufgrund rechtskräftiger Entscheidung des Landesarbeitsgerichts steht fest, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigungen nicht aufgelöst worden ist.
Der Kläger war im Jahr 2019 vom 4. bis zum 8. Januar, vom 14. Januar bis zum 27. Februar und seit dem 29. April durchgehend bis jedenfalls zum 31. Mai 2020 arbeitsunfähig.
Der Kläger hat - soweit für die Revision von Belang - für die Zeit vom 1. Juni 2019 bis zum 31. Mai 2020 Zahlung der Arbeitsvergütung verlangt. Er hat geltend gemacht, die Beklagte habe ihm jedenfalls seit dem 11. April 2019 keine vertragsgemäße Beschäftigung mehr zugewiesen. Damit sei ihm die Arbeitsleistung bei Eintritt seiner auf Krankheit beruhenden Arbeitsunfähigkeit am 29. April 2019 zu einem Zeitpunkt unmöglich geworden, zu dem sich die Beklagte im Annahmeverzug befunden habe. Sie sei daher nach § 326 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 BGB zur Zahlung der Vergütung verpflichtet.
Der Kläger hat zuletzt, soweit für die Revision von Bedeutung, sinngemäß beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 73.380,19 Euro brutto abzüglich erhaltenen Krankengeldes iHv. insgesamt 34.562,91 Euro nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz in bestimmter näher bezeichneter Staffelung zu zahlen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.
Das Arbeitsgericht hat die Klage - soweit für die Revision von Bedeutung - abgewiesen, das Landesarbeitsgericht die Berufung des Klägers insoweit zurückgewiesen. Mit der vom Senat nachträglich und hierauf beschränkt zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein auf § 326 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 BGB gestütztes Zahlungsbegehren weiter.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Revision des Klägers ist unbegründet. In dem in die Revision gelangten Umfang hat das Landesarbeitsgericht die Berufung des Klägers gegen das die Klage abweisende Urteil des Arbeitsgerichts zu Recht zurückgewiesen.
I. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass dem Kläger für den streitgegenständlichen Zeitraum vom 1. Juni 2019 bis zum 31. Mai 2020 kein Anspruch auf Arbeitsvergütung nach § 611a Abs. 2, § 326 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 BGB zusteht. Das gilt auch, wenn man zugunsten des Klägers unterstellt, dass sich die Beklagte in dieser Zeit in Annahmeverzug befunden hat, was nach den gemäß § 559 Abs. 1 ZPO maßgeblichen Feststellungen des Berufungsgerichts zwischen den Parteien streitig ist. Entgeltfortzahlungsansprüche nach § 3 EFZG hat der Kläger für diesen Zeitraum nicht erhoben.
1. Arbeitsleistung und Vergütung stehen im Arbeitsverhältnis in einem synallagmatischen Austauschverhältnis. Wird dem Arbeitnehmer die Erbringung der Arbeitsleistung unmöglich, entfällt gemäß § 275 Abs. 1 BGB seine Leistungspflicht. Er verliert dann nach § 326 Abs. 1 Satz 1 BGB grundsätzlich den Anspruch auf die Gegenleistung, dh. seine Arbeitsvergütung. Ausgehend von diesen Vorschriften des allgemeinen Schuldrechts iVm. § 614 BGB gilt deshalb im Arbeitsverhältnis der Grundsatz "Ohne Arbeit kein Lohn" (BAG 18. Januar 2023 - 5 AZR 93/22 - Rn. 9, BAGE 180, 33; 16. Mai 2012 - 5 AZR 347/11 - Rn. 26, BAGE 141, 330). Ausnahmen hiervon enthält im allgemeinen Schuldrecht § 326 Abs. 2 Satz 1 BGB. Hiernach behält der Schuldner den Anspruch auf die Gegenleistung, wenn der Gläubiger für den Umstand, aufgrund dessen der Schuldner nach § 275 Abs. 1 bis 3 BGB nicht zu leisten braucht, allein oder weit überwiegend verantwortlich ist oder wenn dieser vom Schuldner nicht zu vertretende Umstand zu einer Zeit eintritt, zu welcher der Gläubiger im Verzug der Annahme ist. Hierdurch werden dem Gläubiger die wirtschaftlichen Folgen für die in § 275 Abs. 1 bis 3 BGB aufgeführten Leistungshindernisse zugewiesen, weil diese ihm entweder aufgrund eines vorwerfbaren Fehlverhaltens oder spezieller Risikoerwägungen zuzurechnen sind (Staudinger/Schwarze [2020] BGB § 326 Rn. C 1).
2. § 326 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 BGB regelt die Gegenleistungsgefahr. Diese geht mit Eintritt des Annahmeverzugs auf den Gläubiger über (MüKoBGB/Ernst 9. Aufl. § 326 Rn. 73; Staudinger/Schwarze [2020] BGB § 326 Rn. C 71). Abweichend von der Grundregel in § 326 Abs. 1 Satz 1 BGB bleibt der Gläubiger mit Eintritt des Gläubigerverzugs zur Leistung verpflichtet, wenn der Umstand, der zum Ausschluss der Leistungspflicht nach § 275 Abs. 1 bis 3 BGB führt, während des Annahmeverzugs eintritt. § 326 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 BGB ergänzt somit im allgemeinen Schuldrecht die Rechtsfolgen des Annahmeverzugs nach §§ 300 bis 304 BGB für den gegenseitigen Vertrag (BeckOGK/Herresthal Stand 1. April 2022 BGB § 326 Rn. 251; Staudinger/Schwarze [2020] BGB § 326 Rn. C 72).
3. Wie die übrigen Normen der §§ 320 ff. BGB wird § 326 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 BGB durch spezielle Regelungen vor allem des besonderen Vertragsrechts teils modifiziert, teils verdrängt. Gegenstand und Reichweite der Modifikation oder Verdrängung sind durch Auslegung der besonderen Normen zu ermitteln (Staudinger/Schwarze [2020] BGB § 326 Rn. A 29).
a) Für Dienstverträge enthält § 615 BGB eine Sonderregelung (MüKoBGB/Ernst 9. Aufl. § 326 Rn. 74). Sie trägt dem Umstand Rechnung, dass der Dienstvertrag regelmäßig ein absolutes Fixgeschäft ist (BeckOK BGB/Baumgärtner Stand 1. November 2024 § 615 Rn. 4; MüKoBGB/Henssler 9. Aufl. § 615 Rn. 8; ErfK/Preis/Greiner 25. Aufl. BGB § 615 Rn. 7; Staudinger/Fischinger [2022] BGB § 615 Rn. 42; MHdB ArbR/Tillmanns 6. Aufl. Bd. 1 § 76 Rn. 4 ff.). Der Dienstverpflichtete wird von der Nachleistungspflicht befreit und ihm wird ein Vergütungsanspruch gewährt, wenn der Dienstberechtigte mit der Annahme der Dienstleistung in Verzug ist (Hüffer Leistungsstörungen durch Gläubigerhandeln S. 31).
b) § 615 BGB bildet keine eigenständige Anspruchsgrundlage. Die Vorschrift hält vielmehr im Falle des Gläubigerverzugs den Vergütungsanspruch aus dem Dienstvertrag aufrecht (vgl. BAG 27. Januar 2016 - 5 AZR 9/15 - Rn. 16 mwN, BAGE 154, 100; ErfK/Preis/Greiner 25. Aufl. BGB § 615 Rn. 2; Staudinger/Fischinger [2022] BGB § 615 Rn. 9) und enthält daher eine besondere Gefahrtragungsregel (BeckOGK/Bieder Stand 1. Juli 2022 BGB § 615 Rn. 8; Staudinger/Fischinger [2022] BGB § 615 Rn. 2, 9; MHdB ArbR/Tillmanns 6. Aufl. Bd. 1 § 76 Rn. 8). Sie basiert darauf, dass die fehlende Mitwirkung des Gläubigers dem Schuldner seinerseits die Möglichkeit zur Leistungserbringung nimmt und die Mitwirkung des Dienstberechtigten unverzichtbare Voraussetzung der Vertragserfüllung durch den Dienstverpflichteten ist (MüKoBGB/Henssler 9. Aufl. § 615 Rn. 8; Staudinger/Fischinger [2022] BGB § 615 Rn. 43). Der Dienstverpflichtete wird geschützt, weil er regelmäßig nicht in der Lage ist, seine Dienstleistung anderweitig zu verwenden. § 615 BGB bewirkt damit zusammen mit §§ 293 ff. BGB, dass der Dienstverpflichtete bei Annahmeverzug des Dienstberechtigten den Anspruch auf die Gegenleistung behält, ohne seine Dienstleistung nachholen zu müssen (BeckOK BGB/Baumgärtner Stand 1. November 2024 § 615 Rn. 4; Grüneberg/Weidenkaff 83. Aufl. BGB § 615 Rn. 4; MHdB ArbR/Tillmanns 6. Aufl. Bd. 1 § 76 Rn. 6; Soergel/Gsell 13. Aufl. BGB § 326 Rn. 73; Soergel/Kraft 12. Aufl. BGB § 615 Rn. 4 f.). § 615 BGB normiert damit ein Grundprinzip des Dienstvertragsrechts und trägt der Besonderheit Rechnung, dass es sich bei der Dienstleistungsschuld um eine zeitbezogene Leistung handelt (Staudinger/Fischinger [2022] BGB § 615 Rn. 1).
4. Hieraus folgt für das Verhältnis zwischen § 615 BGB und § 326 Abs. 2 Satz 1 BGB Folgendes:
a) § 326 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 BGB erhält im Falle der Unmöglichkeit den Anspruch des Schuldners auf die Gegenleistung, wenn der Gläubiger für den Umstand allein oder weit überwiegend verantwortlich ist, aufgrund dessen der Schuldner nicht zu leisten braucht. Diese Bestimmung kommt zur Anwendung, wenn sich der Gläubiger bei Eintritt der Unmöglichkeit der Leistung nicht in Annahmeverzug befand. Dies kommt beispielsweise in Betracht, wenn das Arbeitsverhältnis nicht erfüllbar war (vgl. BAG 19. August 2015 - 5 AZR 975/13 - Rn. 24 ff., BAGE 152, 213), ein Fall des § 297 BGB gegeben war (vgl. BAG 23. September 2015 - 5 AZR 146/14 - Rn. 26, BAGE 152, 327) oder der Arbeitnehmer die Arbeitsleistung entgegen §§ 294 ff. BGB nicht angeboten hatte (BAG 27. Januar 2016 - 5 AZR 9/15 - Rn. 25, BAGE 154, 100). In diesen Fällen fehlt es an einer tatbestandlichen Schnittmenge mit § 615 BGB (BeckOGK/Bieder Stand 1. Juli 2022 BGB § 615 Rn. 6).
b) Anderes gilt für das Verhältnis von § 615 BGB zu § 326 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 BGB. Die tatbestandlichen Anforderungen beider Vorschriften überlappen sich, weil jeweils Annahmeverzug Tatbestandsvoraussetzung ist. § 615 BGB entspricht in seiner Wertung § 326 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 BGB, hat aber gleichwohl einen eigenständigen Regelungsinhalt. Die letztgenannte Regelung ist auf Sachleistungen zugeschnitten (Canaris FS Prölss 2009 S. 21, 25 unter Verweis auf Motive zum BGB 1888 Bd. 2 S. 68 f.; Picker JZ 1985, 693, 698 [zur Vorgängerregelung in § 324 Abs. 2 BGB aF]). Sie weist dem Gläubiger zudem noch die Risiken zu, die erst aus zusätzlichen, außerhalb der Gläubigersphäre liegenden Umständen drohen (Picker JZ 1985, 693, 698). Bei § 615 BGB geht es dagegen um den Fall, dass die angebotene, aber nicht angenommene Arbeitsleistung nach den konkreten Umständen oder Zwecken nicht nachgeholt werden kann (Picker JZ 1985, 693, 699; Staudinger/Fischinger [2022] BGB § 615 Rn. 43). Im Verhältnis zu § 326 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 BGB ist § 615 BGB daher die speziellere Norm (ebenso MüKoBGB/Ernst 9 Aufl. § 326 Rn. 74; im Ergebnis, ohne allerdings genau zwischen den beiden Alternativen des § 326 Abs. 2 Satz 1 BGB zu differenzieren Staudinger/Schwarze [2020] BGB § 326 Rn. A 33; MHdB ArbR/Tillmanns 6. Aufl. Bd. 1 § 76 Rn. 6). Soweit der Senat in früheren Entscheidungen diese Differenzierung nicht ausdrücklich vorgenommen hat (vgl. zuletzt BAG 27. Januar 2016 - 5 AZR 9/15 - Rn. 25, BAGE 154, 100), wird dies hiermit klargestellt.
5. Die Verdrängung des § 326 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 BGB durch die spezielleren Regelungen des Dienstvertragsrechts ergibt sich auch daraus, dass dort für den Eintritt der Unmöglichkeit infolge Arbeitsunfähigkeit in § 616 BGB eine besondere Regelung getroffen worden ist. Für Arbeitsverhältnisse gilt insoweit noch spezieller § 3 EFZG. Beide Vorschriften gehen der allgemeinen Regelung in § 326 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 BGB vor ("lex specialis derogat legi generali").
a) Im Dienstvertragsrecht regelt § 616 BGB einen besonderen Fall der Unmöglichkeit der Leistungserbringung durch den Dienstverpflichteten, die von einem in seiner Person liegenden Hinderungsgrund ausgeht. In diesem Fall erhält § 616 Satz 1 BGB dem Dienstverpflichteten den Anspruch auf die Gegenleistung für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit aufrecht. § 616 Satz 1 BGB beruht auf sozialpolitischen Erwägungen (vgl. hierzu Mugdan Die gesamten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich Bd. 2 S. 258; BAG 18. Dezember 1959 - GS 8/58 - BAGE 8, 314; BGH 22. Juni 1956 - VI ZR 140/55 - zu II 2 der Gründe, BGHZ 21, 112; BeckOGK/Bieder Stand 1. Juli 2022 BGB § 616 Rn. 2; MüKoBGB/Henssler 9. Aufl. § 616 Rn. 2; Staudinger/Oetker [2022] BGB § 616 Rn. 11 ff.). Die Vorschrift durchbricht für die Fälle, in denen weder den Dienstverpflichteten noch den Dienstberechtigten ein Verschulden an der vorübergehenden Verhinderung trifft, die Grundregel des § 326 Abs. 1 Satz 1 BGB. So soll dem Dienstverpflichteten die wirtschaftliche Existenzgrundlage gesichert werden, auch wenn das Leistungshindernis in seiner Person entstanden ist. Dem Dienstberechtigten wird hierdurch die Vergütungsgefahr zugewiesen, jedoch ausdrücklich begrenzt für eine "verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit". § 616 BGB gilt auch während des Annahmeverzugs. Der Anspruch auf Annahmeverzugslohn endet, wenn der Dienstverpflichtete aus einem in seiner Person liegenden Grund verhindert ist, die Dienstleistung zu erbringen. In diesem Fall ist er außerstande, die Leistung zu bewirken (§ 297 BGB). Abweichend von der Regelung des allgemeinen Schuldrechts in § 326 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 BGB hat der Dienstverpflichtete in diesem Fall aber keinen zeitlich unbegrenzten Anspruch auf die Gegenleistung, sondern nur für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit.
b) Für Arbeitsverhältnisse enthält § 3 EFZG eine entsprechende Ausnahme von § 326 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 BGB. Wird ein Arbeitnehmer durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert, ohne dass ihn ein Verschulden trifft, sieht § 3 Abs. 1 EFZG im Hinblick auf die sozioökonomische Risikoverteilung im Arbeitsverhältnis einen auf sechs Wochen zeitlich begrenzten Anspruch auf Entgeltfortzahlung vor (vgl. BAG 18. Januar 2023 - 5 AZR 93/22 - Rn. 9 mwN, BAGE 180, 33). Auch hier wird dem Arbeitgeber die Vergütungsgefahr nur für einen begrenzten Zeitraum zugewiesen.
c) § 616 BGB und § 3 EFZG regeln also speziell für Dienst- und Arbeitsverhältnisse die Rechtsfolgen der Unmöglichkeit der Leistungserbringung wegen Arbeitsunfähigkeit - auch wenn sie während des Annahmeverzugs eintritt - abschließend. Sie verdrängen insoweit die Regelung des allgemeinen Schuldrechts in § 326 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 BGB.
6. Die Annahme der Revision, die Nichtanwendbarkeit von § 326 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 BGB in diesen Fällen gehe zu Unrecht zulasten der Sozialversicherungsträger, weil der Arbeitgeber für den Umstand, aufgrund dessen der Arbeitnehmer nicht zu leisten brauche, zumindest mitverantwortlich sei, ist unzutreffend. Zwar ist der Arbeitgeber bei Annahmeunwilligkeit für den daraufhin eintretenden Gläubigerverzug verantwortlich. Diese Verantwortung ist jedoch bis zu dem Zeitpunkt begrenzt, in dem der Annahmeverzug wegen der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers gemäß § 297 BGB endet. Ab diesem Zeitpunkt greift im Dienstvertragsrecht die besondere Gefahrtragungsregel des § 616 BGB, im Arbeitsverhältnis richtet sich die Entgeltfortzahlung nach § 3 EFZG. Nur in dem durch diese Bestimmungen vorgesehenen Umfang wird die gesetzliche Krankenversicherung von der Pflicht zur Zahlung von Krankengeld nach §§ 44 ff. SGB V entlastet. Eine weitergehende Entlastung ist normativ nicht vorgesehen.
7. Soweit die Revision schließlich gemeint hat, es müsse berücksichtigt werden, dass die Verletzung des Beschäftigungsanspruchs durch die Beklagte "risikoerhöhend" für die Arbeitsunfähigkeit gewirkt habe, fehlt es bereits an einem gesetzlichen Anknüpfungspunkt für die hierin liegende Vermischung der tatbestandlichen Voraussetzungen von § 326 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 und Alt. 2 BGB. Mit einer etwaigen Verantwortlichkeit der Beklagten für die Arbeitsunfähigkeit des Klägers iSv. § 326 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 BGB hat sich das Berufungsgericht im Übrigen ausführlich auseinandergesetzt und diese im Ergebnis - rechtskräftig - verneint.