BFH: Anforderungen an einen gerichtlichen Durchsuchungsbeschluss zur Unterbrechung der Verfolgungsverjährung und zur Auslösung der Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 7 AO

Abgabenordnung

BFH, Urteil vom 31.01.2024, X R 7/22
Verfahrensgang: FG Münster, 12 K 19/14 E,AO vom 29.10.2021

Leitsatz:

1. Nur Beschlagnahme- oder Durchsuchungsanordnungen der Verfolgungsbehörde oder des Richters unterbrechen nach § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 des Ordnungswidrigkeitengesetzes (OWiG) die Verfolgungsverjährung, nicht aber Anordnungen der Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft.

2. Durchsuchungsanordnungen müssen angesichts ihrer Grundrechtsrelevanz inhaltliche Mindestanforderungen erfüllen (unter anderem tatsächliche Angaben über den Tatvorwurf, Angabe der Art und des denkbaren Inhalts der Beweismittel, denen die Durchsuchung gilt). Sind diese inhaltlichen Mindestanforderungen nicht erfüllt, hat eine Durchsuchungsanordnung nicht die in § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 OWiG vorgesehene verjährungsunterbrechende Wirkung.

3. Wenn es für die Frage, ob eine Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 7 der Abgabenordnung eingetreten ist, auf die verjährungsunterbrechende Wirkung einer Durchsuchungsanordnung ankommt, hat das Finanzgericht Feststellungen zu treffen, ob darin die genannten inhaltlichen Mindestanforderungen erfüllt sind. Dies darf nicht als gegeben unterstellt werden.

4. Zwar ist im Steuerfestsetzungsverfahren die Rechtmäßigkeit eines Durchsuchungsbeschlusses aufgrund der Tatbestandswirkung der Entscheidungen anderer Gerichte grundsätzlich nicht überprüfbar. Die Tatbestandswirkung tritt aber nur ein, wenn der Beschluss nicht angefochten oder ein Rechtsmittel des Betroffenen zurückgewiesen wurde. Das setzt voraus, dass überhaupt Gelegenheit zur Anfechtung des Beschlusses bestanden hat.

Gründe:

I. Auf den Namen der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) war im Streitjahr 2001 ein gewerbliches Einzelunternehmen unter der Bezeichnung X angemeldet. Steuerberater dieses Unternehmens war der Bruder der Klägerin; Geschäftsführerin die Ehefrau des Bruders. Die Klägerin reichte ihre Einkommensteuererklärung 2001 im Jahr 2002 ein. Der erklärungsgemäße erstmalige Einkommensteuerbescheid 2001 wurde am 06.03.2003 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung erlassen und galt am 10.03.2003 (Montag) als bekanntgegeben. Am 28.01.2010 erging der im vorliegenden Verfahren angefochtene Änderungsbescheid, der verfahrensrechtlich auf § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) gestützt wurde. Darin wurde der Gewinn aus Gewerbebetrieb erheblich erhöht, weil Beträge, die die Klägern als Betriebsausgaben erklärt hatte, nicht mehr gewinnmindernd berücksichtigt wurden. Die Beteiligten streiten im zweiten Rechtsgang (zum ersten Rechtsgang vgl. Senatsurteil vom 06.05.2020 - X R 26/19, BFH/NV 2020, 1238) ausschließlich darum, ob der Änderungsbescheid noch innerhalb der Festsetzungsfrist erlassen worden ist.

Am 03.05.2006 hatte eine Durchsuchung in den Geschäftsräumen der X stattgefunden, die sich zunächst nicht gegen die Klägerin, sondern gegen eine dritte Person richtete. Nachdem der Steuerfahndungsbeamte die Überzeugung gewonnen hatte, dass er gegen die falsche Person ermittelte, leitete er gegen die Klägerin am selben Tag ein steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Hinterziehung von Einkommensteuer für 2001 ein, ohne jedoch die Einleitung der Klägerin förmlich bekannt zu geben.

Ferner ordnete er am selben Tag in dieser Ermittlungssache gegen die Klägerin wegen Gefahr im Verzug "als Ermittlungsperson der Staatsanwaltschaft" die "Durchsuchung der Geschäftsräume der Fa. <X>" an. Ferner protokollierte er im Rahmen einer "Nachweisung" in einem Formular der Steuerfahndungsstelle, wiederum im Strafverfahren gegen die Klägerin, die Beschlagnahme und Sicherstellung von Unterlagen.

Auf Blatt 4 des steuerstrafrechtlichen Ermittlungsberichts über die gegen die Klägerin geführten Ermittlungen der Steuerfahndung vom 02.11.2009 heißt es unter der Überschrift "Strafrechtliche Verfahrenshandlungen" (Schreibfehler bereits im Original enthalten):

"Bl. 108-110 d.A.) b) Erlass eines von Durchsuchungsbeschlüssen durch das AG N... im Steuerstrafverfahren gegen ... 27.10.06".

Die Akten des steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahrens, auf die in der vorstehend zitierten Passage des Ermittlungsberichts verwiesen wird, sind bereits vernichtet worden und standen dem Finanzgericht (FG) daher nicht zur Verfügung. Der Fahndungsprüfer und sein Sachgebietsleiter haben bei ihren schriftlichen Befragungen durch das FG angegeben, sich an Einzelheiten des Vorgangs nicht mehr erinnern zu können.

Am 13.01.2010 wurde das gegen die Klägerin geführte steuerstrafrechtliche Ermittlungsverfahren gemäß § 170 Abs. 2 der Strafprozessordnung (StPO) eingestellt, weil ein Vorsatznachweis nicht geführt werden konnte. Am 19.07.2012 wurde gegen sie wegen leichtfertiger Steuerverkürzung eine Geldbuße festgesetzt.

Das FG wies die Klage ab (Entscheidungen der Finanzgerichte 2022, 1514). Es würdigte den Sachverhalt dahingehend, dass der Klägerin und ihrem Bruder zwar keine Steuerhinterziehung nachgewiesen werden könne, ihr jedoch in Bezug auf die erklärten Betriebsausgaben eine leichtfertige Steuerverkürzung vorzuwerfen sei. Die danach fünfjährige Festsetzungsfrist (§ 169 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 AO) hätte grundsätzlich am 31.12.2007 geendet, sei aber nach § 171 Abs. 7 AO bis zum 27.10.2011 gehemmt gewesen.

Zwar hätten die Maßnahmen vom 03.05.2006 die Verjährung nicht unterbrochen. Den Vermerk im steuerstrafrechtlichen Ermittlungsbericht würdigte das FG aber dahingehend, dass damit der Nachweis eines am 27.10.2006 im Steuerstrafverfahren gegen die Klägerin ergangenen Durchsuchungsbeschlusses erbracht sei. Dieser habe gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 des Ordnungswidrigkeitengesetzes (OWiG) zur Unterbrechung der Verfolgungsverjährung geführt. Der Lauf der Verfolgungsverjährungsfrist, hier von fünf Jahren (§ 384 AO), habe gemäß § 31 Abs. 3 OWiG mit dem Eintritt des Taterfolgs begonnen. Dies sei die Bekanntgabe des erstmaligen Einkommensteuerbescheids 2001 am 10.03.2003 gewesen. Die Frist sei daher am 27.10.2006 noch nicht abgelaufen gewesen und habe an diesem Tag gemäß § 33 Abs. 3 Satz 1 OWiG von neuem zu laufen begonnen. Diese neue Fünf-Jahres-Frist sei im Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Änderungsbescheids (28.01.2010) noch offen gewesen und habe gemäß § 171 Abs. 7 AO zugleich den Ablauf der steuerlichen Festsetzungsfrist gehemmt. Zwar sei der Vorbehalt der Nachprüfung schon vor dem Erlass des angefochtenen Änderungsbescheids gemäß § 164 Abs. 4 AO entfallen. Die Änderung könne verfahrensrechtlich aber auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO gestützt werden.

Mit ihrer Revision bringt die Klägerin vor, das FG habe keine Feststellungen dazu getroffen, ob die Durchsuchungsanordnung die aus verfassungsrechtlichen Gründen erforderlichen inhaltlichen Mindestanforderungen erfülle. Sei dies nicht der Fall, habe sie nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung keine verjährungsunterbrechende Wirkung. Auch hätte das FG feststellen müssen, ob die Durchsuchungsanordnung überhaupt in den Geschäftsgang gelangt sei.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das angefochtene Urteil, die Einspruchsentscheidung des Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) vom 27.11.2013 und den vom Finanzamt S erlassenen geänderten Einkommensteuerbescheid 2001 vom 28.01.2010 aufzuheben.

Das FA beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Es ist der Auffassung, die Klägerin wende sich lediglich gegen eine --das Revisionsgericht bindende-- Sachverhaltswürdigung des FG. Im Übrigen entfalte ein nicht angefochtener oder nach Anfechtung im Rechtsmittelverfahren bestätigter Durchsuchungsbeschluss Tatbestandswirkung für die Finanzbehörden und -gerichte, denen damit eine eigenständige Überprüfung der Rechtmäßigkeit eines solchen Beschlusses verwehrt sei.

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

Das FG hat zwar zutreffend erkannt, dass eine möglicherweise ergangene Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnung vom 03.05.2006 keine verjährungsunterbrechende Wirkung hat und damit die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 7 AO nicht auslösen konnte (dazu unten 1.). Soweit die Vorinstanz allerdings die Voraussetzungen für den Eintritt der Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 7 AO im Hinblick auf einen Durchsuchungsbeschluss vom 27.10.2006 bejaht hat, reichen die dazu getroffenen tatsächlichen Feststellungen nicht aus und können wegen der Vernichtung der hierfür maßgeblichen Unterlagen auch nicht mehr nachgeholt werden (unten 2.). Weil das FG --nach seinem Rechtsstandpunkt folgerichtig-- keine Feststellungen zum Eintritt einer Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 5 Satz 1 AO getroffen hat, geht die Sache an die Vorinstanz zurück (unten 3.).

1. Das FG hat --mit zwar sehr knapper, im Ergebnis aber zutreffender Begründung-- eine ablaufhemmende Wirkung der Durchsuchungs- sowie der Beschlagnahmeanordnung vom 03.05.2006 verneint. Zwar wären Unterbrechungen der Verfolgungsverjährung nach § 33 OWiG zu jenem Zeitpunkt grundsätzlich geeignet gewesen, eine Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 7 AO auszulösen (dazu unten a). Unterbrechungshandlungen sind auch Beschlagnahme- und Durchsuchungsanordnungen, jedoch nur, wenn sie durch die Verfolgungsbehörde oder den Richter erlassen werden. Anordnungen einer Ermittlungsperson der Staatsanwaltschaft genügen nicht (unten b). Um solche Anordnungen handelte es sich im Streitfall (unten c).

a) Das FA hat rechtsfehlerfrei --und von den Beteiligten unbeanstandet-- angenommen, dass die Festsetzungsverjährung für die Einkommensteuer 2001 im Streitfall mit Ablauf des Jahres 2002 begonnen hat und grundsätzlich mit Ablauf des Jahres 2007 endete, da wegen einer leichtfertigen Steuerverkürzung die fünfjährige Festsetzungsfrist des § 169 Abs. 2 Satz 2 AO anzuwenden war. Allerdings endet gemäß § 171 Abs. 7 AO in den Fällen des § 169 Abs. 2 Satz 2 AO die Festsetzungsfrist nicht, bevor die Verfolgung der Steuerstraftat oder --wie im Streitfall-- der Steuerordnungswidrigkeit verjährt ist. Die Verfolgungsverjährung beginnt, sobald die Handlung beendet ist, jedoch nicht vor dem Eintritt des Erfolgs (§ 31 Abs. 3 OWiG). Der Erfolg ist hier mit der Bekanntgabe des fehlerhaften Einkommensteuerbescheids 2001 am 10.03.2003 eingetreten. Da die Verfolgungsverjährungsfrist bei Steuerordnungswidrigkeiten im Sinne des § 378 AO fünf Jahre beträgt (§ 384 AO), wäre die reguläre Verfolgungsverjährung am 10.03.2008 eingetreten, sofern nicht zuvor ein Unterbrechungstatbestand verwirklicht worden wäre.

b) Gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 OWiG wird die Verfolgungsverjährung unter anderem durch Beschlagnahme- oder Durchsuchungsanordnungen der Verfolgungsbehörde oder des Richters unterbrochen.

aa) Maßgebend ist grundsätzlich der Zeitpunkt, in dem die Entscheidung abgefasst wird (§ 33 Abs. 2 OWiG). Nach einer Unterbrechung beginnt die Verjährung von neuem, endet jedoch spätestens mit Eintritt der absoluten Verjährung, hier mit Ablauf des Doppelten der gesetzlichen Verjährungsfrist (§ 33 Abs. 3 Satz 1 und 2 OWiG).

bb) Die Unterbrechung wirkt nur gegenüber demjenigen, auf den sich die Handlung bezieht (§ 33 Abs. 4 Satz 1 OWiG). Folglich muss sich die Unterbrechungshandlung gegen eine bestimmte Person richten (ständige Rechtsprechung, z.B. Beschluss des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 29.10.1996 - 4 StR 394/96, BGHSt 42, 283, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 1997, 598, unter III.1., m.w.N.; ebenso zu § 78c Abs. 4 des Strafgesetzbuchs (StGB): BGH-Beschluss vom 26.10.2017 - 1 StR 279/17, Zeitschrift für Wirtschaft- und Steuerstrafrecht --wistra-- 2018, 122, unter III.1.c aa, m.w.N.). Unterbrochen wird die Verjährung gegenüber demjenigen, gegen den sich das betreffende Verfolgungs- oder Ermittlungsverfahren richtet, während unerheblich ist, ob es sich um eine Maßnahme bei einem Dritten handelt (BGH-Beschluss vom 01.08.1995 - 1 StR 275/95, wistra 1995, 309).

cc) Beschlagnahmeanordnungen von Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft lösen die verjährungsunterbrechende Wirkung des § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 OWiG allerdings nicht aus.

Der klare Wortlaut des § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 OWiG beschränkt sich auf Beschlagnahme- oder Durchsuchungsanordnungen "der Verfolgungsbehörde oder des Richters". Bei der Verfolgungsbehörde handelt es sich um die für die Verfolgung und Ahndung der Ordnungswidrigkeit zuständige Behörde nach §§ 35 ff. OWiG, deren Befugnisse in § 46 Abs. 2 OWiG bestimmt sind. § 53 Abs. 2 OWiG kennt jedoch daneben auch Beschlagnahme- und Durchsuchungsanordnungen durch die "Beamten des Polizeidienstes, die zu Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft bestellt sind" (im Steuerstrafverfahren: Beamte der Steuerfahndung gemäß § 404 AO). Das Tätigwerden in dieser Funktion ist kein Tätigwerden für die "Verfolgungsbehörde" im Sinne des Ordnungswidrigkeitengesetzes. Es wäre zu erwarten gewesen, dass diese Anordnungsbefugten ebenfalls in § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 OWiG erwähnt worden wären, wenn der Gesetzgeber ihren Anordnungen dieselbe verjährungsunterbrechende Wirkung hätte zumessen wollen wie den Anordnungen der Verfolgungsbehörde oder des Richters. Dies ist aber gerade nicht geschehen.

Dass Anordnungen von Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft die verjährungsunterbrechende Wirkung des § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 OWiG nicht auslösen, entspricht auch der einhelligen Meinung in der Literatur (vgl. ausführlich Ellbogen in Karlsruher Kommentar zum Ordnungswidrigkeitengesetz, 5. Aufl. 2018, § 33 Rz 47; ferner Gürtler/Thoma, OWiG, 18. Aufl. 2021, § 33 Rz 26; BeckOK OWiG/Graf, 40. Ed. [01.10.2023], § 33 Rz 71; Krenberger/Krumm, OWiG, 7. Aufl. 2022, § 33 Rz 40).

c) Im Streitfall hatten zwar die am 03.05.2006 durchgeführten Durchsuchungs- und Beschlagnahmemaßnahmen in einem gegen die Klägerin geführten Verfahren stattgefunden, das unmittelbar zuvor eingeleitet worden war. Da Maßnahmen gegenüber Dritten die Verjährung ebenfalls unterbrechen, ist zudem unerheblich, ob die Klägerin noch Inhaberin des Einzelunternehmens unter der Bezeichnung X war, was sie bestreitet. Die Anordnungen vermochten die Verjährung dennoch nicht zu unterbrechen, weil der Steuerfahnder sie in seiner Eigenschaft als Ermittlungsperson der Staatsanwaltschaft ausgesprochen hatte. Für die Durchsuchung hat er dies ausdrücklich so protokolliert. Hinsichtlich der Beschlagnahme hat das FG in einer den Senat bindenden --und angesichts der vorhergehenden Verfahrenseinleitung und der Durchsuchungsanordnung offenkundig zutreffenden-- Weise ebenfalls diesen Schluss gezogen.

2. Zu Unrecht hat das FG eine Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 7 AO im Hinblick auf einen Durchsuchungsbeschluss vom 27.10.2006 bejaht. Zwar hat es die Dauer der Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 7 AO --unter der Voraussetzung, dass am 27.10.2006 tatsächlich ein die Verfolgungsverjährung unterbrechender Durchsuchungsbeschluss gegen die Klägerin ergangen ist-- zutreffend berechnet (unten a). Auch hat das FG in einer den Senat bindenden Weise festgestellt, dass am 27.10.2006 ein richterlicher Durchsuchungsbeschluss gegen die Klägerin ergangen ist (unten b). Durchsuchungsbeschlüsse haben jedoch aus verfassungsrechtlichen Gründen inhaltlichen Mindestanforderungen an ihre Bestimmtheit zu genügen (unten c). Fehlt es daran, tritt auch die verjährungsunterbrechende Wirkung nicht ein (unten d). Der Umstand, dass Feststellungen zum Inhalt dieses Beschlusses wegen der Vernichtung aller Akten nicht mehr getroffen werden können, geht zu Lasten des FA mit der Folge, dass die Voraussetzungen des § 171 Abs. 7 AO nicht nachgewiesen sind (unten e).

a) Sollte am 27.10.2006 ein ordnungsmäßiger gerichtlicher Durchsuchungsbeschluss gegen die Klägerin ergangen sein, hätte die fünfjährige Verfolgungsverjährungsfrist des § 384 AO von neuem zu laufen begonnen (§ 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, Abs. 3 OWiG) und wäre erst am 27.10.2011 abgelaufen. Dementsprechend wäre auch der Ablauf der steuerlichen Festsetzungsfrist bis zu diesem Tag gehemmt gewesen. Zu diesem Zeitpunkt war der im vorliegenden Verfahren angefochtene Einkommensteuerbescheid 2001 vom 28.01.2010 bereits ergangen.

b) Im Streitfall streiten die Beteiligten darüber, ob am 27.10.2006 ein richterlicher Durchsuchungsbeschluss (§§ 102 f., 105 StPO) in dem Strafverfahren gegen die Klägerin ergangen ist. Die aufgrund des steuerstrafrechtlichen Ermittlungsberichts getroffene Feststellung des FG, dass dies der Fall war, ist möglich und bindet daher gemäß § 118 Abs. 2 FGO den erkennenden Senat.

c) Allerdings legt die Klägerin zutreffend dar, dass das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) und im Anschluss daran der BGH angesichts der Grundrechtsrelevanz von Durchsuchungsanordnungen in ständiger Rechtsprechung bestimmte Mindestanforderungen an entsprechende Beschlüsse stellen. So muss ein Durchsuchungsbeschluss tatsächliche Angaben über den Inhalt des Tatvorwurfs enthalten, wofür die lediglich schlagwortartige Bezeichnung der jeweiligen Straftat nicht genügt. Ferner muss der Beschluss die Art sowie den denkbaren Inhalt der Beweismittel, denen die Durchsuchung gilt, erkennen lassen (zum Ganzen BVerfG-Beschlüsse vom 26.05.1976 - 2 BvR 294/76, BVerfGE 42, 212, unter B.II.3.; vom 22.03.1999 - 2 BvR 2158/98, NJW 1999, 2176, unter II.1., 2.; vom 17.03.2009 - 2 BvR 1940/05, NJW 2009, 2516, unter III.1.b und vom 04.04.2017 - 2 BvR 2551/12, NJW 2017, 2016, Rz 18 ff.; BGH-Urteil vom 10.11.2016 - 4 StR 86/16, Neue Zeitschrift für Strafrecht --NStZ-- 2018, 45, Rz 14, m.w.N.).

d) Durchsuchungsbeschlüsse, die die genannten verfassungsrechtlichen Mindestanforderungen an ihre inhaltliche Bestimmtheit nicht erfüllen, haben nicht die in § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 OWiG vorgesehene verjährungsunterbrechende Wirkung.

aa) Im Hinblick auf die strafverfahrensrechtliche Parallelvorschrift des § 78c Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB entspricht dies der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung (BGH-Entscheidungen vom 05.04.2000 - 5 StR 226/99, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2001, 289, unter II.1.c und II.2.d; vom 27.05.2003 - 4 StR 142/03, NStZ 2004, 275, unter 1.b bb; vom 10.11.2016 - 4 StR 86/16, NStZ 2018, 45, Rz 13, m.w.N. und vom 20.07.2021 - 4 StR 439/20, Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht 2022, 25, Rz 8 ff.; Krumm in Tipke/Kruse, § 376 AO Rz 54).

bb) Nichts anderes gilt für § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 OWiG (gleicher Ansicht Ellbogen in Karlsruher Kommentar zum Ordnungswidrigkeitengesetz, 5. Aufl. 2018, § 33 Rz 45; BeckOK OWiG/Graf, 39. Ed. [01.07.2023], § 33 Rz 68).

Das OWiG enthält keine eigenen Regelungen über die Anordnung von Durchsuchungen, sondern verweist insoweit in vollem Umfang auf die Strafprozessordnung (§ 46 Abs. 1 OWiG). Damit gelten die §§ 102 ff. StPO auch für Durchsuchungen im Rahmen von Ordnungswidrigkeitenverfahren. Abgesehen davon hat es sich bei der Maßnahme vom 27.10.2006 um eine Durchsuchung im Strafverfahren gehandelt, da damals noch eine Steuerstraftat verfolgt wurde; der Übergang ins Ordnungswidrigkeitenverfahren wurde erst wesentlich später vorgenommen.

Da der nicht auffindbare Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts N vom 27.10.2006 drei Blätter in den Akten umfassen soll, ist davon auszugehen, dass es sich um einen schriftlichen Beschluss und nicht nur um einen Vermerk über eine mündliche Anordnung handelt. Daher ist hier nicht zu entscheiden, ob dieselben Anforderungen an eine Durchsuchungsanordnung zu stellen sein könnten, die in mündlicher Form oder sogar konkludent (vgl. BGH-Urteil vom 15.10.1985 - 5 StR 338/85, NStZ 1986, 84, unter 2.) erlassen wird (bejahend Ellbogen in Karlsruher Kommentar zum Ordnungswidrigkeitengesetz, 5. Aufl. 2018, § 33 Rz 45).

e) Das FG hat keine Feststellungen dazu getroffen, ob der Durchsuchungsbeschluss vom 27.10.2006 die dargestellten inhaltlichen Mindestanforderungen, die für den Eintritt der verjährungsunterbrechenden Wirkung erforderlich sind, erfüllt.

aa) Solche Feststellungen wären im Streitfall erforderlich gewesen. Die inhaltlichen Mindestanforderungen können angesichts des Umstands, dass sie recht hoch sind und in der Praxis daher mitunter nicht erfüllt werden (vgl. auch Ebner, juris PraxisReport Steuerrecht 42/2022 Anm. 3, unter C.I.2.a), nicht einfach als gegeben unterstellt werden.

bb) Entgegen der Auffassung des FA sind diese Fragen im Streitfall nicht schon wegen der grundsätzlichen Tatbestandswirkung von Durchsuchungsbeschlüssen ohne Belang. Im Ausgangspunkt zutreffend weist das FA zwar auf die ständige höchstrichterliche Rechtsprechung hin, wonach im Steuerfestsetzungsverfahren die Rechtmäßigkeit eines Durchsuchungsbeschlusses aufgrund der Tatbestandswirkung der Entscheidungen anderer Gerichte grundsätzlich --vorbehaltlich besonders schwerer Mängel-- nicht überprüfbar ist (vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 10.03.1992 - X B 18/91, BFH/NV 1992, 367, unter 1.; vom 17.05.1995 - I B 118/94, BFHE 177, 242, BStBl II 1995, 497, unter II.5.; vom 29.01.2002 - VIII B 91/01, BFH/NV 2002, 749, unter III.3.a aa; vom 15.05.2002 - V B 74/01, BFH/NV 2002, 1279, unter II.2.b und vom 17.07.2003 - X B 19/03, BFH/NV 2003, 1594, unter 1.b). Dies gilt allerdings nur, wenn der Beschluss nicht angefochten oder ein Rechtsmittel des Betroffenen zurückgewiesen wurde (BFH-Beschlüsse vom 29.01.2002 - VIII B 91/01, BFH/NV 2002, 749, unter III.3.a aa und vom 17.07.2003 - X B 19/03, BFH/NV 2003, 1594, unter 1.b).

Vorliegend ist weder festgestellt noch feststellbar, dass beziehungsweise ob der amtsgerichtliche Durchsuchungsbeschluss vom 27.10.2006 der Klägerin überhaupt bekanntgegeben oder ob er vollzogen worden ist und die Klägerin damit Gelegenheit hatte, den Beschluss anzufechten. Es besteht keine tatsächliche Vermutung dahin, dass ein richterlicher Durchsuchungsbeschluss bekanntgegeben wurde. Es kommt vor, dass sich die Ermittlungsbehörde zunächst einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss beschafft, diesen aber etwa wegen Veränderung der Umstände doch nicht vollzieht. Dementsprechend hat das FG keine Feststellungen dazu getroffen --und auch nicht treffen können--, ob der Durchsuchungsbeschluss nicht angefochten oder im Rechtsmittelverfahren bestätigt worden ist und damit die Voraussetzungen für den Eintritt einer Tatbestandswirkung erfüllt waren.

cc) Eine Nachholung der erforderlichen Tatsachenfeststellungen zum Inhalt des Durchsuchungsbeschlusses ist wegen der Vernichtung aller maßgeblichen Akten und des fehlenden Erinnerungsvermögens der vom FG befragten Beamten nicht möglich. Dies geht zu Lasten des FA, so dass die Voraussetzungen für den Eintritt einer Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 7 AO als nicht erwiesen anzusehen sind. Schon nach den allgemeinen Regeln liegt die Feststellungslast für Umstände, die den ausnahmsweisen Erlass eines Steuerbescheids nach Ablauf der regulären Verjährungsfrist ermöglichen würden, beim FA, das sich auf den Eintritt der Voraussetzungen eines Tatbestands der Ablaufhemmung beruft (vgl. z.B. Senatsurteil vom 19.05.2016 - X R 14/15, BFHE 254, 193, BStBl II 2017, 97, Rz 31). Dies gilt erst recht unter den Umständen des Streitfalls. Denn nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung fällt es in den Risikobereich der Behörde und hat Einfluss auf das von den Tatsachengerichten anzuwendende Beweismaß, wenn verfahrensrelevante Akten zu einem Zeitpunkt --vorzeitig-- vernichtet werden, in dem ein Besteuerungsverfahren noch nicht bestands- oder rechtskräftig abgeschlossen ist (BFH-Entscheidungen vom 28.11.2007 - X R 11/07, BFHE 220, 3, BStBl II 2008, 335, unter II.3.b und vom 11.03.2015 - V B 83/14, BFH/NV 2015, 852, Rz 11; umfassend Senatsbeschluss vom 05.02.2014 - X B 138/13, BFH/NV 2014, 720).

3. Da das FG --aus seiner Sicht folgerichtig-- ausdrücklich offengelassen hat, ob die Voraussetzungen für den Eintritt einer Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 5 Satz 1 AO erfüllt sind, geht die Sache zur Nachholung der hierfür erforderlichen tatsächlichen Feststellungen an die Vorinstanz zurück (vgl. hierzu auch die Hinweise im Senatsurteil vom 06.05.2020 - X R 26/19, BFH/NV 2020, 1238, Rz 36 ff.). Sollte die Festsetzungsfrist unter diesem Gesichtspunkt gewahrt sein, wäre der Vorbehalt der Nachprüfung im Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Änderungsbescheids noch nicht entfallen gewesen (§ 164 Abs. 4 Satz 1 AO), so dass auch eine Änderungsbefugnis bestünde. In § 164 Abs. 4 Satz 2 AO, dem zufolge bestimmte Verlängerungen der Festsetzungsfrist nicht die Fortdauer des Nachprüfungsvorbehalts zur Folge haben, ist § 171 Abs. 5 AO nicht genannt.

4. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das FG beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.

Für die zum Kostenfestsetzungsverfahren gehörende Entscheidung über den im Revisionsverfahren erneut gestellten Antrag, die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das außergerichtliche Vorverfahren für notwendig zu erklären (§ 139 Abs. 3 Satz 3 FGO), ist das FG zuständig (ständige Rechtsprechung, vgl. Senatsurteil vom 17.11.2015 - X R 35/14, BFH/NV 2016, 728, Rz 42, m.w.N.). Zur Erstattungsfähigkeit der Kosten für das außergerichtliche Vorverfahren verweist der Senat auf seine Ausführungen im Urteil vom 06.05.2020 - X R 26/19 (BFH/NV 2020, 1238, Rz 42).