BFH: Feststellungsverjährung bei Verlustfeststellungsbescheiden

Einkommensteuer / Abgabenordnung

BFH, Beschluss vom 23.02.2024, IX B 118/22
Verfahrensgang: FG Düsseldorf, 14 K 3301/20 E,F vom 29.09.2022

Leitsatz:

NV: Die unterlassene Änderung einer materiell unrichtigen Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags fällt nicht unter § 10d Abs. 4 Satz 6 Halbsatz 2 des Einkommensteuergesetzes, sodass eine Anwendung des § 181 Abs. 5 der Abgabenordnung ausscheidet.

Gründe:

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

Die Revision ist weder zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) noch wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) zuzulassen.

1. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn die für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage das Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Die Revision ist zur Fortbildung des Rechts zuzulassen, wenn davon auszugehen ist, dass im Einzelfall Veranlassung besteht, Grundsätze und Leitlinien für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts aufzustellen oder Gesetzeslücken rechtsschöpferisch auszufüllen. Beide Zulassungsgründe setzen eine klärungsbedürftige und klärbare Rechtsfrage voraus (vgl. z.B. Senatsbeschlüsse vom 06.09.2023 - IX B 84/22, Rz 4; vom 18.04.2023 - IX B 7/22, Rz 4; jeweils m.w.N.). Eine Rechtsfrage ist nicht klärungsbedürftig, wenn sie durch die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) bereits geklärt ist und keine neuen Gesichtspunkte vorgetragen werden, die eine erneute Prüfung und Entscheidung dieser Frage durch den BFH erforderlich machen würden (vgl. nur Senatsbeschluss vom 03.08.2022 - IX B 16/22, Rz 4).

2. Die vom Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) aufgeworfene Rechtsfrage, ob ein Verlustfeststellungsbescheid, für den die reguläre Feststellungsfrist abgelaufen ist, nach § 181 Abs. 5 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) i.V.m. § 10d Abs. 4 Satz 6 Halbsatz 2 des Einkommensteuergesetzes in der in den Streitjahren geltenden Fassung (EStG) auch nach einer erstmaligen Veranlagung geändert werden kann, ist nicht klärungsbedürftig.

a) Nach § 181 Abs. 5 Satz 1 AO ist ein zum Schluss eines Veranlagungszeitraums verbleibender Verlustabzug auch nach Ablauf der für seine gesonderte Feststellung geltenden Feststellungsfrist gesondert festzustellen, wenn dies für einen späteren Einkommensteuer- oder Feststellungsbescheid nach § 10d EStG von Bedeutung ist, für den die Festsetzungs- oder Feststellungsfrist noch nicht abgelaufen ist. § 181 Abs. 5 AO ist nach § 10d Abs. 4 Satz 6 Halbsatz 2 EStG jedoch nur anzuwenden, wenn die zuständige Finanzbehörde die Feststellung des Verlustvortrags pflichtwidrig unterlassen hat.

b) Aufgrund des Urteils des BFH vom 11.02.2015 - I R 5/13 (BFHE 250, 172, BStBl II 2016, 353, Rz 15) ist bereits geklärt, dass eine Behörde nicht "die Feststellung ... pflichtwidrig unterlassen" hat, wenn sie es versäumt, eine bereits vorliegende (aber materiell unzutreffende) Verlustfeststellung bis zum Ablauf der Feststellungsfrist zu ändern (vgl. z.B. auch Hallerbach in Herrmann/Heuer/Raupach, § 10d EStG Rz 131; Brandis/Heuermann/Vogel, § 10d EStG Rz 287). Das Urteil betrifft zwar die Auslegung des § 35b Abs. 2 Satz 4 Halbsatz 2 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) i.d.F. des Jahressteuergesetzes (JStG) 2007 vom 13.12.2006 (BGBl I 2006, 2878). Die Grundsätze gelten jedoch gleichermaßen für den zeitgleich eingeführten § 10d Abs. 4 Satz 6 Halbsatz 2 EStG (Art. 1 Nr. 9 bzw. Art. 5 Nr. 5 JStG 2007; zur Vergleichbarkeit Vorschriften vgl. auch BTDrucks 16/2712, S. 74 betreffend § 35b GewStG mit Verweis auf die Ausführungen zu § 10d Abs. 4 EStG). Der Wortlaut der Regelung ist eindeutig. Wenn es darum geht, dass die zuständige Finanzbehörde "die Feststellung" pflichtwidrig "unterlassen" haben muss, um durch Anwendung des § 181 Abs. 5 AO eine Feststellung nach Ablauf der Feststellungsfrist zu ermöglichen, ist nur die erstmalige Feststellung angesprochen (vgl. ausführlich BFH-Urteil vom 11.02.2015 - I R 5/13, BFHE 250, 172, BStBl II 2016, 353, Rz 17 ff.).

c) Die Beschwerde führt keine Argumente an, die eine erneute Überprüfung erforderlich machen. Der vom Kläger gerügte Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes liegt nicht vor. Das Unterlassen einer erstmaligen Feststellung und die Änderung einer bereits erfolgten Feststellung sind bereits keine vergleichbaren Sachverhalte. Jedenfalls aber bestehen hinreichende sachliche Gründe für die unterschiedliche Behandlung.

Liegt bereits ein Feststellungsbescheid vor, hat es der Steuerpflichtige im Falle eines zu niedrig festgestellten Verlustes in der Hand, durch rechtzeitige Stellung eines Änderungsantrages eine Hemmung der Feststellungsfrist nach § 171 Abs. 3 AO zu erreichen. Demgegenüber führt die Abgabe der gesetzlich vorgeschriebenen Feststellungserklärung zwecks erstmaliger Feststellung nicht zu einer solchen Hemmung, da es sich nicht um einen Antrag im Sinne von § 171 Abs. 3, § 181 Abs. 1 AO handelt (Senatsurteile vom 29.06.2011 - IX R 38/10, BFHE 233, 326, BStBl II 2011, 963; vom 15.05.2013 - IX R 5/11, BFHE 241, 310, BStBl II 2014, 143, jeweils m.w.N.). Dies lässt die auf das Unterlassen einer Feststellung begrenzte Ausnahmeregelung des § 10d Abs. 4 Satz 6 Halbsatz 2 EStG als sachgerecht erscheinen.