BFH: Geltendmachung der Energiepreispauschale durch Abgabe der Einkommensteuererklärung

Finanzgerichtsordnung / Einkommensteuer

BFH, Beschluss vom 29.02.2024, VI S 24/23
Verfahrensgang: FG Hessen, 4 K 867/23 vom 03.11.2023

Leitsatz:

1. Eine vom Arbeitgeber nicht ausgezahlte Energiepreispauschale ist vom Arbeitnehmer nicht gegenüber dem Arbeitgeber, sondern im Rahmen des Veranlagungsverfahrens für 2022 durch Abgabe einer Einkommensteuererklärung geltend zu machen.

2. Kommt das Finanzamt der Festsetzung der Energiepreispauschale nicht nach, kann diese nach Durchführung eines Vorverfahrens vor dem Finanzgericht erstritten warden.

Gründe:

I. Die Beklagte ist eine beim Amtsgericht in A mit der Geschäftsanschrift X-Straße 21 in A eingetragene GmbH. Der in B wohnhafte Kläger war auf Grundlage eines am 26.09.2022 mit der Beklagten geschlossenen Arbeitsvertrags ab dem 28.09.2022 bei Kunden der Beklagten im Rahmen einer von der Agentur für Arbeit in A erlaubten Arbeitnehmerüberlassung beschäftigt. Als Arbeitgeber ist im vorgenannten Arbeitsvertrag die Beklagte mit dem Zusatz "Niederlassung ... [in] C" bezeichnet. Diese Niederlassung ist unter der Anschrift Y-Straße 30 in C ansässig (vgl. Anlage K2, Bl. 10 der Akte des Hessischen Finanzgerichts --FG--). Diese Anschrift ist auch mittels Firmenstempel auf dem Arbeitsvertrag aufgebracht (s. S. 6 des Arbeitsvertrags, Rückseite Bl. 9 der FG-Akte).

Die Beklagte zahlte dem Kläger keine Energiepreispauschale aus. Ferner waren Lohnansprüche für September 2022 und Oktober 2022 streitig. Deshalb erhob der Kläger am xx.xx.2022 gegen die Beklagte Klage vor dem Arbeitsgericht (ArbG) in C. Mit Beschluss vom 05.07.2023 hat das ArbG den Rechtsstreit auf Zahlung der Energiepreispauschale abgetrennt und an das FG verwiesen. Die Beteiligten haben diesen Beschluss nicht angefochten.

Das FG hat mit Beschluss vom 03.11.2023 - 4 K 867/23 den Bundesfinanzhof (BFH) zwecks Entscheidung darüber angerufen, welches Finanzgericht im vorliegenden Rechtsstreit örtlich zuständig ist. Der beschließende Senat hat den Beteiligten Gelegenheit gegeben, zur Bestimmung des örtlich zuständigen Finanzgerichts Stellung zu nehmen.

II. Das Gesuch um Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts ist zulässig, denn der Finanzrechtsweg ist eröffnet, eine örtliche Zuständigkeit nach § 38 der Finanzgerichtsordnung (FGO) jedoch nicht gegeben (§ 39 Abs. 1 Nr. 5 FGO). Als örtlich zuständiges Gericht ist das FG zu bestimmen.

1. Die Voraussetzungen für eine Anrufung des BFH nach § 39 Abs. 2 Satz 1 FGO durch das FG liegen vor.

a) Die Bestimmung eines örtlich zuständigen Finanzgerichts durch den BFH setzt voraus, dass der Finanzrechtsweg eröffnet ist. Das FG ist zu Recht davon ausgegangen, dass es an den Verweisungsbeschluss des ArbG hinsichtlich des Rechtswegs gebunden ist. Denn auch ein rechtskräftiger Verweisungsbeschluss, der sachlich nicht hätte ergehen dürfen, entfaltet nach § 17a Abs. 2 Satz 3 des Gerichtsverfassungsgesetzes grundsätzlich Bindungswirkung hinsichtlich des Rechtswegs. Dies gilt ausnahmsweise nur dann nicht, wenn er offensichtlich unhaltbar ist. Von einem schlechthin nicht nachvollziehbaren Verweisungsbeschluss kann vorliegend jedoch keine Rede sein. Vielmehr hat das ArbG in C zutreffend entschieden, dass vorliegend der Finanzrechtsweg eröffnet ist. Denn bei dem Streit über die Auszahlung einer Energiepreispauschale, jedenfalls soweit sie noch nicht nach § 117 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ausgezahlt ist, handelt es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit, zu deren Entscheidung die Finanzgerichte nach § 33 Abs. 1 Nr. 1 FGO berufen sind (im Einzelnen s. Finanzgericht Münster, Beschluss vom 05.09.2023 - 11 K 1588/23 Kg (PKH), Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2023, 1616, Rz 10 f.; Landesarbeitsgericht --LAG-- Nürnberg, Beschluss vom 17.10.2023 - 7 Ta 81/23, Zeitschrift für Tarifrecht, Arbeitsrecht und Sozialrecht 2024, 50; LAG Düsseldorf, Beschluss vom 05.10.2023 - 3 Ta 240/23, Arbeitsrechtliche Entscheidungen 2023, 243, jeweils m.w.N.).

b) Gemäß § 39 Abs. 1 Nr. 5 FGO wird das zuständige Finanzgericht durch den BFH bestimmt, wenn eine örtliche Zuständigkeit nach § 38 FGO nicht gegeben ist. § 38 FGO geht für die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit davon aus, dass es sich bei dem Beklagten um eine (Finanz-)Behörde handelt; eine juristische Person des privaten Rechts als Beklagten kennt die Vorschrift nicht. Deshalb lässt sich die örtliche Zuständigkeit nicht nach § 38 FGO bestimmen, wenn der Beklagte die Rechtsform einer GmbH hat. Insoweit entsteht jedenfalls im Anschluss an eine hinsichtlich des Rechtswegs bindende Verweisung eine Lücke, die die Anwendung des § 39 Abs. 1 Nr. 5 FGO eröffnet (Senatsbeschluss vom 10.02.2012 - VI S 10/11).

2. Für die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit ist in solchen Fällen regelmäßig maßgebend, in welchem Finanzgerichtsbezirk der Beklagte seinen Sitz hat. Dies folgt aus der allgemeinen verfahrensrechtlichen Grundregel, wonach hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit auf den Sitz des Beklagten abzustellen ist (Senatsbeschluss vom 26.08.2008 - VI B 68/08, BFH/NV 2008, 2036, unter Hinweis auf die Regelung des § 38 Abs. 1 FGO sowie des § 17 Abs. 1 i.V.m. § 12 der Zivilprozessordnung --ZPO--; Gräber/Herbert, Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 39 Rz 8).

a) Danach wäre die örtliche Zuständigkeit des Finanzgerichts grundsätzlich nach dem Sitz der Beklagten in A zu bestimmen. Im Streitfall besteht jedoch die Besonderheit, dass der Kläger das Arbeitsverhältnis ausweislich des vorgelegten Arbeitsvertrags direkt mit der Niederlassung der Beklagten in C geschlossen hat und nach den für den BFH nach § 118 Abs. 2 FGO bindenden Feststellungen des FG von dieser Niederlassung das Arbeitsverhältnis --wenn auch nur mittelbar-- gelenkt worden ist. Für arbeits- und zivilrechtliche Streitigkeiten ist damit nach § 21 Abs. 1 ZPO der besondere Gerichtsstand der Niederlassung neben dem allgemeinen Gerichtsstand juristischer Personen nach § 17 Abs. 1 ZPO begründet (vgl. dazu Pulz in Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, Bd. 4, 5. Aufl. 2022, § 389 Rz 68, m.w.N.).

Unter mehreren zuständigen Gerichten hat der Kläger die Wahl (§ 35 ZPO), deren Ausübung regelmäßig durch die Klageerhebung erfolgt (Thomas/Putzo, Zivilprozessordnung, 44. Aufl., § 35 Rz 2). Im Streitfall hat der Kläger sein Wahlrecht dahin ausgeübt, dass er seine Klage an das nach dem besonderen Gerichtsstand der Niederlassung (§ 21 ZPO) zuständige ArbG in C und nicht an das nach § 17 ZPO zuständige ArbG in A gerichtet hat. Der beschließende Senat hält es angesichts dessen für sachgerecht, für die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit des Finanzgerichts dieser Entscheidung des Klägers zu folgen und von einer Bestimmung eines anderen --auch des allgemeinen-- Gerichtsstands abzusehen. Damit ist vorliegend das FG örtlich zuständig, da sich die Niederlassung der Beklagten in C und damit in dessen Bezirk befindet. Dabei kann offenbleiben, ob die Vorschriften der §§ 21, 35 ZPO über § 155 FGO im finanzgerichtlichen Verfahren entsprechende Anwendung finden können. Die §§ 21, 35 ZPO sollen die Rechtsverfolgung gegen Gewerbetreibende dadurch erleichtern, dass der Kläger ein örtlich günstigeres Gericht anrufen kann (MüKoZPO/Patzina, § 21 Rz 1). Jedenfalls dieser zivilprozessualen Wertung ist für das finanzgerichtliche Verfahren zu folgen. Auch § 38 FGO ist letztlich von dem Grundsatz getragen, dem Kläger einen ortsnahen Rechtsschutz zu gewährleisten (vgl. v. Beckerath in Gosch, FGO § 38 Rz 11).

b) Demgegenüber sprechen im Streitfall keine belastbaren Gesichtspunkte dafür, in entsprechender Anwendung des § 38 Abs. 2 FGO der Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit (ausnahmsweise) den Wohnsitz des Klägers zugrunde zu legen. Zwar ist die Energiepreispauschale soweit sie --wie vorliegend-- vom Arbeitgeber nicht nach § 117 EStG ausgezahlt wurde, mit der Einkommensteuerveranlagung für den Veranlagungszeitraum 2022 festzusetzen (§ 115 Abs. 1 EStG). Nach § 120 Abs. 1 Satz 1 EStG sind auf die Energiepreispauschale die für Steuervergütungen geltenden Vorschriften der Abgabenordnung anzuwenden. Ansprüche auf Steuervergütungen sind aber gegenüber dem Finanzamt --FA-- (und nicht wie vorliegend gegenüber dem Arbeitgeber) geltend zu machen (ebenso Weber-Grellet, juris PraxisReport Arbeitsrecht 9/2023, Anm. 7). Zur Festsetzung der Energiepreispauschale bedarf es folglich der Abgabe einer Einkommensteuererklärung gegenüber dem (Wohnsitz-)FA (vgl. BTDrucks 20/1765, S. 24; Schmidt/Krüger, EStG, 42. Aufl., § 115 Rz 1; Schober in Herrmann/Heuer/Raupach, § 115 EStG Rz 2; Finanzgericht Münster, Beschluss vom 05.09.2023 - 11 K 1588/23 Kg (PKH), EFG 2023, 1616, Rz 14, 16; Finanzgericht Hamburg, Gerichtsbescheid vom 18.10.2023 - 1 K 163/23). Nur soweit das FA der Festsetzung der Energiepreispauschale im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung nicht nachkommt, kann der Kläger diese --nach Durchführung eines Vorverfahrens (§ 44 FGO)-- vor dem nach § 38 Abs. 1 FGO örtlich zuständigen Finanzgericht erstreiten.

Angesichts dessen ist die örtliche Zuständigkeit vorliegend nicht nach dem Wohnsitz(-FA) des Klägers zu bestimmen. Denn es ist nicht ersichtlich, dass die dahingehende Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit einem der Beteiligten für das finanzgerichtliche Verfahren im Streitfall irgendwelche Vor- oder Nachteile brächte (vgl. Senatsbeschluss vom 26.08.2008 - VI B 68/08, BFH/NV 2008, 2036).

Zum einen hat der Kläger die Klage nicht, wie es zutreffend gewesen wäre, gegen das FA gerichtet, sondern gegen die Beklagte. Angesichts der eindeutigen Bezeichnung der Beklagten in der Klageschrift ist eine Umdeutung der vorliegenden Klage in ein "einkommensteuerliches Festsetzungsbegehren" gegen das Wohnsitz-FA nicht möglich. Außerdem wäre eine Klage gegen das FA unzulässig. Denn es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass der Kläger seinen vermeintlichen Anspruch auf Auszahlung der Energiepreispauschale gegenüber dem FA durch Abgabe einer Einkommensteuererklärung für den Veranlagungszeitraum 2022 geltend gemacht hat.