BGH: Nachweis über den Zeitpunkt der Zustellung durch elektronisches Empfangsbekenntnis

Verfahrens-/Prozessrecht

BGH, Beschluss vom 23.10.2024, XII ZB 255/24
Verfahrensgang: AG Krefeld, 64 F 237/19 vom 10.01.2024
OLG Düsseldorf, II-3 UF 73/24 vom 13.05.2024

Leitsatz:

a) Den Nachweis über den Zeitpunkt der Zustellung der angefochtenen Entscheidung erbringt der Rechtsmittelführer durch die Übermittlung des vom Ausgangsgericht mit der Zustellung als strukturierter Datensatz zur Verfügung gestellten bzw. angeforderten elektronischen Empfangsbekenntnisses.

b) Ist die Gerichtsakte bei Eingang des Empfangsbekenntnisses bereits für die Durchführung eines Rechtsmittelverfahrens an das Gericht des höheren Rechtszuges abgegeben, liegt es in der Organisationsverantwortung der Gerichte, für eine Zuordnung des elektronischen Empfangsbekenntnisses zu dem zugestellten Dokument zu sorgen.

Gründe:

I. Die Antragstellerin begehrt vom Antragsgegner für sich selbst und für drei gemeinsame minderjährige Kinder Trennungs- und Kindesunterhalt ab Dezember 2016. Durch Beschluss vom 10. Januar 2024 hat das Familiengericht den Antragsgegner unter Abweisung des weitergehenden Antrags dazu verpflichtet, rückständigen und laufenden Kindesunterhalt in unterschiedlicher Höhe zu zahlen. Es hat die Zustellung an den Antragsgegner unter Anforderung eines von seiner Verfahrensbevollmächtigten in Form eines strukturierten Datensatzes zu erteilenden elektronischen Empfangsbekenntnisses veranlasst, welches diese zunächst nicht - auch nicht nach mehrfacher Erinnerung durch das Familiengericht - zurückgesandt hat.

Gegen den Beschluss hat der Antragsgegner am 20. Februar 2024 Beschwerde beim Familiengericht eingelegt und am 20. März 2024 beim Oberlandesgericht beantragt, die Frist zur Begründung der Beschwerde um einen Monat zu verlängern. Das Oberlandesgericht hat die Verfahrensbevollmächtigte des Antragsgegners mit Verfügung vom 11. April 2024 unter Fristsetzung bis zum 26. April 2024 aufgefordert, das Empfangsbekenntnis zu den Akten zu reichen, und darauf hingewiesen, dass wegen des fehlenden Empfangsbekenntnisses nicht geprüft werden könne, ob die Beschwerdeeinlegung und der Verlängerungsantrag fristgerecht eingereicht worden seien.

Am 12. April 2024 hat die Verfahrensbevollmächtigte das elektronische Empfangsbekenntnis, das als Zustelldatum den 22. Januar 2024 ausweist, an das Familiengericht in der Form des strukturierten Datensatzes übermittelt und die eingelegte Beschwerde am 22. April 2024 beim Oberlandesgericht begründet.

Ohne über das Fristverlängerungsgesuch zu entscheiden, hat das Oberlandesgericht die Beschwerde durch Beschluss vom 13. Mai 2024 verworfen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Antragsgegners.

II. Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.

1. Die Rechtsbeschwerde ist nach §§ 112 Nr. 1, 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG, §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert. Das Beschwerdegericht hat durch seine Entscheidung die Verfahrensgrundrechte des Antragsgegners auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip), wonach es den Gerichten verboten ist, den Beteiligten den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren (vgl. Senatsbeschlüsse vom 23. August 2023 - XII ZB 278/22 - FamRZ 2023, 1982 Rn. 6 und vom 11. Januar 2023 - XII ZB 538/21 - FamRZ 2023, 711 Rn. 5 mwN), sowie auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise verletzt.

2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.

a) Nach Auffassung des Beschwerdegerichts genügt die Beschwerde nicht den Anforderungen von § 63 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 und § 117 Abs. 1 Satz 3 FamFG, weil der Antragsgegner nicht den Nachweis der Rechtzeitigkeit des Eingangs seines Rechtsmittels und seines Fristverlängerungsantrages geführt habe. Insoweit trage er die Feststellungslast für aus seinem Erfahrungsbereich stammende Umstände. Er habe trotz des Hinweises vom 11. April 2024 nicht dargetan, wann ihm der angefochtene Beschluss schriftlich bekanntgegeben worden sei, so dass eine Berechnung der gesetzlichen Fristen nicht habe erfolgen können. Vor allem habe seine Verfahrensbevollmächtigte trotz mehrfacher Aufforderung nicht das von ihr zu erteilende Empfangsbekenntnis zur Verfahrensakte gereicht.

b) Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

aa) Nach § 63 Abs. 1 FamFG ist die Beschwerde innerhalb einer Frist von einem Monat einzulegen. Die Frist beginnt mit der schriftlichen Bekanntgabe des Beschlusses an die Beteiligten (§ 63 Abs. 3 Satz 1 FamFG). Gemäß § 117 Abs. 1 Satz 1 FamFG hat der Beschwerdeführer in Ehesachen und Familienstreitsachen zudem zur Begründung seiner Beschwerde einen bestimmten Sachantrag zu stellen und diesen zu begründen. Die Begründung ist innerhalb von zwei Monaten ab schriftlicher Bekanntgabe des Beschlusses, spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach Erlass des Beschlusses, beim Beschwerdegericht einzureichen (§ 117 Abs. 1 Satz 2 und 3 FamFG). Diese Frist kann auf Antrag des Beschwerdeführers unter den in § 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG i.V.m. § 520 Abs. 2 Satz 2 und 3 ZPO genannten Voraussetzungen von dem Vorsitzenden des Beschwerdegerichts verlängert werden. Eine Verlängerung der Frist zur Beschwerdebegründung kommt aber nicht mehr in Betracht, wenn das Verlängerungsgesuch erst nach Ablauf der Begründungsfrist beim Beschwerdegericht eingegangen ist (vgl. Senatsbeschluss vom 22. Juli 2015 - XII ZB 583/14 - FamRZ 2015, 1878 Rn. 10 mwN). Das Beschwerdegericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Beschwerde an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt ist (§ 68 Abs. 2 Satz 1 FamFG).

bb) Diesen Maßstäben genügt die angefochtene Entscheidung nicht. Ausgehend von der mit dem Empfangsbekenntnis nachgewiesenen Zustellung des angefochtenen Beschlusses am 22. Januar 2024 hat der Antragsgegner mit seiner am 20. Februar 2024 eingelegten Beschwerde und dem am 20. März 2024 gestellten Antrag auf Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist die genannten Fristen gewahrt. Mit der elektronischen Übersendung des Empfangsbekenntnisses an das Familiengericht hat die Verfahrensbevollmächtigte (deutlich) vor der Entscheidung des Oberlandesgerichts alles von ihr zu Verlangende getan.

(1) Nach § 113 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 173 Abs. 3 Satz 2 ZPO ist für die Übermittlung des elektronischen Empfangsbekenntnisses zwingend der vom Gericht mit der Zustellung zur Verfügung gestellte bzw. angeforderte (vgl. jurisPK-ERV/Biallaß [Stand: 28. August 2024] § 173 ZPO Rn. 68.1; Zöller/Schultzky ZPO 35. Aufl. § 173 Rn. 13) strukturierte Datensatz zu verwenden.

(2) Durch die Verwendung des vom Gericht vorgegebenen strukturierten Datensatzes soll das rücklaufende Empfangsbekenntnis dem zugestellten Dokument automatisch zugeordnet werden können (BT-Drucks. 17/13948 S. 34; jurisPK-ERV/Biallaß [Stand: 28. August 2024] § 173 ZPO Rn. 68.3; Zöller/Schultzky ZPO 35. Aufl. § 173 Rn. 13). Die Zuordnung selbst liegt in der Verantwortung des Gerichts. Ist die Gerichtsakte bereits für die Durchführung eines Rechtsmittelverfahrens an das Gericht des höheren Rechtszuges abgegeben worden, bleibt es in der gerichtlichen Organisationsverantwortung, für eine Zuordnung des elektronischen Empfangsbekenntnisses zu dem zugestellten Dokument zu sorgen. Ist dies nicht automatisiert gewährleistet, gehört es zu den Aufgaben des Gerichts der Ausgangsinstanz, das Empfangsbekenntnis ohne Zeitverzögerung an das Rechtsmittelgericht weiterzuleiten, um so die nach dem Gesetz vorausgesetzte Zuordnung herzustellen. Parallel dazu besteht eine Verpflichtung des Beschwerdegerichts, keine auf das Fehlen des Empfangsbekenntnisses gestützte Entscheidung zu treffen, ohne sich zuvor bei dem Ausgangsgericht nach einem möglichen, gesetzlich allein dort vorgesehenen Eingang zu erkundigen.

(3) Da der Zustellungsnachweis gemäß § 173 Abs. 3 Satz 2 ZPO ausschließlich mit dem vom Ausgangsgericht angeforderten strukturierten Datensatz vorgesehen ist, hatte die Verfahrensbevollmächtigte mit dessen Übersendung zugleich das von ihrer Seite Erforderliche erfüllt.

Indem das Empfangsbekenntnis bei der Entscheidung des Beschwerdegerichts nicht berücksichtigt worden ist, sind der Anspruch des Antragsgegners auf Zugang zur Rechtsmittelinstanz in unzumutbarer Weise erschwert und sein Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs in entscheidungserheblicher Weise verletzt worden.

c) Die Entscheidung des Oberlandesgerichts stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 577 Abs. 3 ZPO). Insbesondere ist sie nicht etwa deshalb im Ergebnis zutreffend, weil der Antragsgegner seine Beschwerde nicht innerhalb der am 22. März 2024 ablaufenden Begründungsfrist des § 117 Abs. 1 Satz 3 FamFG, sondern erst am 22. April 2024 begründet hat.

Auf Antrag des Beschwerdeführers kann die Frist zur Beschwerdebegründung durch den Vorsitzenden des Beschwerdegerichts u.a. dann um bis zu einem Monat verlängert werden, wenn nach seiner freien Überzeugung das Verfahren durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder der Beschwerdeführer erhebliche Gründe darlegt (§ 117 Abs. 1 S. 4 FamFG i.V.m. § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO). Wegen Versäumung der Begründungsfrist darf eine Beschwerde aber erst verworfen werden, wenn der Vorsitzende des Beschwerdegerichts über den Verlängerungsantrag entschieden hat. Diese Entscheidung kann auch noch nach einer Aufhebung eines auf anderen Gründen beruhenden Verwerfungsbeschlusses und Zurückverweisung des Verfahrens durch das Rechtsbeschwerdegericht nachgeholt werden (vgl. Senatsbeschluss vom 3. Februar 1988 - IVb ZB 19/88 - FamRZ 1988, 831; vgl. auch BGH Beschlüsse vom 26. Januar 2017 - IX ZB 34/16 - MDR 2017, 353 Rn. 6 f. und vom 5. April 2001 - VII ZB 37/00 - MDR 2001, 951 zur Berufung). Ausgehend hiervon steht einer Aufrechterhaltung der angefochtenen Entscheidung entgegen, dass der Vorsitzende des Beschwerdegerichts bisher nicht über den - mit erheblicher Arbeitsüberlastung seiner Verfahrensbevollmächtigten begründeten (vgl. hierzu Senatsbeschluss vom 8. Mai 2013 - XII ZB 396/12 - FamRZ 2013, 1219 Rn. 11) - Fristverlängerungsantrag des Antragsgegners entschieden hat.

Bei einer noch möglichen antragsgemäßen Fristverlängerung wäre die Beschwerdebegründung am 22. April 2024 rechtzeitig eingegangen.