BVerwG: Pflicht zur Bildung eines Arbeitsschutzausschusses in einem Filialbetrieb
Arbeitssicherheitsgesetz
BVerwG, Urteil vom 01.02.2024, 8 C 4.23
Verfahrensgang: VG Sigmaringen, 14 K 3091/19
VGH Baden-Württemberg, 6 S 3786/21 vom 12.02.2023
Leitsatz:
1. Betrieb im Sinne von § 11 Satz 1 ASiG ist eine organisatorische Einheit, innerhalb derer der Arbeitgeber zusammen mit den von ihm beschäftigten Arbeitnehmern bestimmte arbeitstechnische Zwecke fortgesetzt verfolgt. Dazu müssen die in der Betriebsstätte vorhandenen materiellen und immateriellen Betriebsmittel zusammengefasst, geordnet und gezielt eingesetzt und die menschliche Arbeitskraft von einem einheitlichen Leitungsapparat gesteuert werden (vgl. BAG, Urteil vom 15. Dezember 2009 - 9 AZR 769/08 - BAGE 133, 1 Rn. 25; BSG, Urteil vom 26. Juni 1980 - 8a RU 106/79 - BSGE 50, 171 <172 ff.>). Dies erfasst auch qualifizierte Betriebsteile im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 BetrVG (vgl. BSG, Urteil vom 12. Juni 1989 - 2 RU 10/88 - juris Rn. 19).
2. Die Behörde, die den Erlass einer Verfügung nach § 12 Abs. 1 ASiG beabsichtigt, hat zuvor den nach allgemeinen Regeln für die Angelegenheit zuständigen Betriebsrat des betroffenen Unternehmens gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 1 ASiG anzuhören.
3. § 46 VwVfG ist auf Verstöße gegen die Anhörungspflicht nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 ASiG anwendbar.
Gründe:
I
Die Klägerin, die Bau- und Gartenmärkte im Bundesgebiet betreibt, wendet sich gegen eine Anordnung der Beklagten, die sie zur Bildung eines Arbeitsschutzausschusses in ihrer Filiale in Ulm verpflichtet.
Die Märkte werden als rechtlich und wirtschaftlich unselbständige Verkaufsstellen geführt. Die in den Märkten eingesetzten Arbeitnehmer sind bei der Klägerin angestellt. Die Marktleiter üben das ihnen gegenüber bestehende Weisungsrecht des Arbeitgebers aus. Die Märkte sind baulich sowie nach Größe und Einzelelementen typisiert aufgebaut, einheitlich eingerichtet und ausgestaltet. Die Berufsbilder und Arbeitsprozesse sind unternehmenseinheitlich vorgegeben. Bei der Klägerin ist ein Gesamtbetriebsrat errichtet. Aufgrund einer Gesamtbetriebsvereinbarung vom 21. Juli 2016 ist bei ihr außerdem ein Arbeitsschutzausschuss Zentralverwaltung und ein (zentraler) Arbeitsschutzausschuss Filialbetriebe gebildet. Der Arbeitsschutzausschuss Filialbetriebe setzt sich aus einem Beauftragten der Klägerin, zwei vom Gesamtbetriebsrat bestimmten Mitgliedern, mindestens einem Betriebsarzt und mindestens einer Fachkraft für Arbeitssicherheit zusammen. Lokale Sicherheitsbeauftragte werden anlassbezogen zu seinen Sitzungen hinzugezogen. In der verfahrensgegenständlichen Filiale sind ungefähr 100 Mitarbeiter beschäftigt. Für die Filiale ist ein Betriebsrat errichtet und wenigstens ein Sicherheitsbeauftragter nach § 22 SGB VII bestellt.
Am 20. März 2018 kontrollierte die Beklagte die Filiale Ulm der Klägerin. Sie beanstandete Defizite beim Arbeitsschutz und wies die Klägerin auf ihre Verpflichtung hin, einen Arbeitsschutzausschuss zu bilden. Am 26. Juni 2018 fand in der Filiale Ulm eine Besprechung zwischen Mitarbeitern der Beklagten, dem Filialleiter und Vertretern der Zentrale der Klägerin statt. Zeitweise wurde ein Mitglied des Betriebsrats hinzugezogen. Die Vertreter der Beklagten erklärten, sie hielten die Klägerin für verpflichtet, einen Arbeitsschutzausschuss in der Filiale zu errichten. Die Vertreter der Zentrale der Klägerin widersprachen dem.
Mit Bescheid vom 25. Juli 2018 verpflichtete die Beklagte die Klägerin, in ihrer Filiale in Ulm einen Arbeitsschutzausschuss zu bilden (Ziff. 1.1). Dieser müsse mindestens aus dem Arbeitgeber oder einem von ihm Beauftragten, zwei vom Betriebsrat bestimmten Betriebsratsmitgliedern, einem Betriebsarzt, einer Fachkraft für Arbeitssicherheit und dem Sicherheitsbeauftragten nach § 22 SGB VII bestehen und mindestens einmal vierteljährlich zusammentreten, um über Anliegen des Arbeitsschutzes und der Unfallverhütung zu beraten (Ziff. 1.2). Für den Fall, dass bis 31. Dezember 2018 kein Arbeitsschutzausschuss gebildet sein und/oder bis 31. März 2019 keine Ausschusssitzung stattgefunden haben sollte, drohte die Beklagte ein Zwangsgeld in Höhe von jeweils 2 500 ¤ an (Ziff. 1.3). Außerdem setzte sie eine Gebühr von 608 ¤ für die Entscheidung fest (Ziff. 1.4). Ermächtigungsgrundlage für Ziff. 1.1 bis 1.3 des Bescheides sei § 12 Arbeitssicherheitsgesetz (ASiG). Danach dürfe sie im Einzelfall anordnen, was zur Erfüllung der Pflichten nach dem Arbeitssicherheitsgesetz erforderlich sei. Die Klägerin sei nach § 11 ASiG zur Bildung eines Arbeitsschutzausschusses in ihrer Filiale in Ulm verpflichtet, weil sie dort mehr als 20 Mitarbeiter beschäftige. Den Anhörungserfordernissen des § 12 Abs. 2 ASiG sei wegen der Teilnahme eines Mitglieds des Betriebsrats und eines Mitarbeiters der zuständigen Unfallversicherung an der Besprechung vom 26. Juni 2018 genüge getan.
Den Widerspruch der Klägerin gegen Ziff. 1.1 - 1.3 der Anordnung wies das Regierungspräsidium Tübingen zurück. Mit Widerspruchsbescheid vom 5. Juni 2019 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin gegen die Gebührenfestsetzung (Ziff. 1.4) zurück und setzte hierfür eine Verwaltungsgebühr fest. Die Klägerin hat gegen den Ausgangsbescheid und die beiden Widerspruchsbescheide Klage erhoben. In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht hat die Beklagte Ziff. 1.3 ihrer Anordnung dahingehend neu gefasst, dass, falls binnen sechs Monaten nach Bestandskraft ihres Bescheides kein Arbeitsschutzausschuss gebildet sein und/oder binnen weiterer drei Monate keine Ausschusssitzung stattgefunden haben sollte, ein Zwangsgeld in Höhe von jeweils 2 500 ¤ angedroht werde. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Rechtsgrundlage für Ziff. 1.1 und 1.2. der angefochtenen Verfügung sei § 12 Abs. 1 ASiG, der die zuständige Behörde zur Durchsetzung der sich aus dem Arbeitssicherheitsgesetz ergebenden gesetzlichen Pflichten ermächtige. Die Verpflichtung zur Bildung eines Arbeitsschutzausschusses sei auch materiell rechtmäßig. § 11 ASiG verpflichte die Klägerin zur Errichtung eines Arbeitsschutzausschusses in ihrer Filiale in Ulm, weil diese ein Betrieb im Sinne der Vorschrift sei. Betrieb im Sinne der Vorschrift sei eine organisatorische Einheit, innerhalb derer der Arbeitgeber zusammen mit den von ihm beschäftigten Arbeitnehmern bestimmte arbeitstechnische Zwecke fortgesetzt verfolge. Dazu müssten die in der Betriebsstätte vorhandenen materiellen und immateriellen Betriebsmittel zusammengefasst, geordnet und gezielt eingesetzt und die menschliche Arbeitskraft von einem einheitlichen Leitungsapparat gesteuert werden. Unionsrecht gebiete keine abweichende Auslegung. Es gebe die Schaffung eines Arbeitsschutzausschusses und damit auch dessen konkrete Ausgestaltung nicht zwingend vor. Ebenso wenig rechtfertige die Unfallverhütungsvorschrift DGUV Vorschrift 2 eine abweichende Auslegung. Die Einstufung der Filiale als Betrieb sei auch nicht wegen der zentralisierten Arbeitsschutzorganisation unter dem Gesichtspunkt der Atypik abzulehnen. Die Gesamtbetriebsvereinbarung "Arbeitsschutzausschüsse" stelle keine abweichende sonstige Rechtsvorschrift im Sinne des § 11 Satz 1 Halbs. 1 ASiG dar. Die Vorschrift eröffne den Betriebsparteien keinen Gestaltungsspielraum. Das der Beklagten eingeräumte Ermessen sei auf den Erlass von Ziff. 1.1 und Ziff. 1.2 der angefochtenen Verfügung reduziert. Ziff. 1.1 und 1.2 der Anordnung seien formell rechtmäßig. Die Information eines einzelnen Betriebsratsmitglieds über die beabsichtigte Maßnahme am 26. Juni 2018 dürfte zwar den Anforderungen des § 12 Abs. 2 Nr. 1 ASiG nicht genügen. Ein Verstoß gegen die Vorschrift sei aber jedenfalls nach § 46 VwVfG BW unbeachtlich. Diese Regelung sei auf solche Verstöße grundsätzlich anwendbar, weil die Verletzung des Anhörungserfordernisses des § 12 Abs. 2 Nr. 1 ASiG keinen absoluten Verfahrensfehler darstelle. Ihre Voraussetzungen seien auch gegeben, weil ein Unterbleiben der Anhörung des Betriebsrats die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst habe. Die Androhung eines Zwangsgeldes (Ziff. 1.3) und die Festsetzung der Verwaltungsgebühr (Ziff. 1.4) seien ebenfalls rechtmäßig.
Zur Begründung ihrer Revision führt die Klägerin im Wesentlichen aus, das Berufungsurteil verletze § 12 Abs. 2 Nr. 1 ASiG i. V. m. § 46 VwVfG BW, Art. 11 der Richtlinie 89/391/EWG und § 11 Satz 1 ASiG. Der Verwaltungsgerichtshof habe übersehen, dass der angefochtene Bescheid formell rechtswidrig sei, weil die beabsichtigte Maßnahme nicht mit dem Gesamtbetriebsrat erörtert worden sei. Er sei zudem unter Verstoß gegen Art. 11 Abs. 1 RL 89/391/EWG davon ausgegangen, dass der von ihm unterstellte Verfahrensfehler gemäß § 46 VwVfG BW unbeachtlich sei. Die Vorschrift des § 12 Abs. 2 Nr. 1 ASiG müsse auch deswegen als absolutes Verfahrenshindernis eingestuft werden, weil sie ebenso wie § 29 Abs. 2 Satz 1 AsylG eine wesentliche Verfahrensgarantie darstelle. Schließlich lägen die Voraussetzungen für eine Unbeachtlichkeit nach § 46 VwVfG BW nicht vor, weil der Betriebsbegriff in hohem Maße wertungsoffen sei. Der Verwaltungsgerichtshof sei zudem von einem fehlerhaften Betriebsbegriff im Sinne des § 11 ASiG ausgegangen. Eine zutreffende Auslegung ergebe, dass bei Filialunternehmen, wie der Klägerin, bei der sämtliche Filialen über eine identische Struktur verfügten und der Arbeitsschutz zentral gesteuert werde, ein Arbeitsschutzausschuss nicht in jeder Filiale gebildet werden müsse. Vielmehr könne Betrieb im Sinne von § 11 ASiG, in dem der Arbeitsschutzausschuss zu bilden sei, auch das übergeordnete Filialunternehmen sein, wenn nur auf diese Weise gewährleistet sei, dass der Arbeitsschutzausschuss einen effektiven Beitrag für einen wirksamen Arbeitsschutz leiste. Das sei anzunehmen, wenn die Leitungsmacht für Arbeitsschutz, wie hier, zentralisiert sei. Für dieses Ergebnis streite zudem Unionsrecht. § 11 ASiG konkretisiere das Anhörungsrecht der Arbeitnehmer nach Art. 11 Abs. 1 RL 89/391/EWG und müsse daher insoweit effektiv angewendet werden. Das sei nur sichergestellt, wenn der Arbeitsschutzausschuss jeweils dort gebildet werde, wo die Leitungsmacht für Arbeitsschutz angesiedelt sei. Dieses Ergebnis werde durch die Unfallverhütungsvorschrift DGUV Vorschrift 2 bestätigt, die den Betriebsbegriff im Arbeitssicherheitsrecht ebenfalls unter Bezugnahme auf das Vorhandensein von arbeitssicherheitsrechtlicher Leitungsmacht beschreibe. Zudem habe der Verwaltungsgerichtshof das Vorliegen eines atypischen Falles zu Unrecht verneint. Die Betriebsstruktur der Klägerin zeichne sich dadurch aus, dass sämtliche Filialen baulich sowie nach Größe und Einzelelementen typisiert aufgebaut und unternehmenseinheitlich eingerichtet und ausgestattet seien und zentral gesteuert würden. Damit unterscheide die Organisationsstruktur der Klägerin sich von derjenigen anderen Filialunternehmen, bei denen die unternehmerseitig erstellten Konzepte zur Filialgestaltung mehr oder weniger nur "Angebotscharakter" hätten.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 12. Januar 2023 und das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 6. Juli 2021 zu ändern und den Bescheid der Beklagten vom 25. Juli 2018 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide des Regierungspräsidiums Tübingen vom 29. Mai 2019 und der Beklagten vom 5. Juni 2019 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie verteidigt das Berufungsurteil. Die Vertreterin des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht stützt die Argumentation des Verwaltungsgerichtshofs zur Auslegung des Betriebsbegriffs.
II
Die zulässige Revision ist unbegründet. Das Berufungsurteil verletzt kein Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 VwGO).
1. Der Verwaltungsgerichtshof ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Beklagte gemäß § 12 Abs. 1 i. V. m. § 11 ASiG die Klägerin zum Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung vom 29. Mai 2019 zur Bildung eines Arbeitsschutzausschusses in ihrer Filiale in Ulm verpflichten durfte.
Gemäß § 12 Abs. 1 ASiG kann die zuständige Behörde im Einzelfall anordnen, welche Maßnahmen der Arbeitgeber zur Erfüllung der sich aus diesem Gesetz ergebenden Pflichten zu treffen hat. Nach § 11 Satz 1 Halbs. 1 ASiG hat der Arbeitgeber in Betrieben mit mehr als 20 Beschäftigten einen Arbeitsschutzausschuss zu bilden, soweit in einer sonstigen Rechtsvorschrift nichts anderes bestimmt ist.
a) Bei der Filiale Ulm handelt es sich um einen Betrieb im Sinne von § 11 Satz 1 Halbs. 1 ASiG. Betrieb im Sinne der Vorschrift ist nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung eine organisatorische Einheit, innerhalb derer der Arbeitgeber zusammen mit den von ihm beschäftigten Arbeitnehmern bestimmte arbeitstechnische Zwecke fortgesetzt verfolgt. Dazu müssen die in der Betriebsstätte vorhandenen materiellen und immateriellen Betriebsmittel zusammengefasst, geordnet und gezielt eingesetzt und die menschliche Arbeitskraft von einem einheitlichen Leitungsapparat gesteuert werden (vgl. BAG, Urteil vom 15. Dezember 2009 - 9 AZR 769/08 - BAGE 133, 1 Rn. 25; BSG, Urteile vom 12. Juni 1989 - 2 RU 10/88 - juris Rn. 19 und vom 26. Juni 1980 - 8a RU 106/79 - BSGE 50, 171 <172 ff.>). Dies erfasst auch qualifizierte Betriebsteile im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 BetrVG (vgl. BSG, Urteil vom 12. Juni 1989 - 2 RU 10/88 - juris Rn. 19).
aa) Für dieses dem Betriebsverfassungsrecht grundsätzlich (vgl. BAG, Urteil vom 15. Dezember 2009 - 9 AZR 769/08 - BAGE 133, 1 Rn. 25) bzw. weitgehend (vgl. BSG, Urteile vom 12. Juni 1989 - 2 RU 10/88 - juris Rn. 19 und vom 26. Juni 1980 - 8a RU 106/79 - BSGE 50, 171 <173>) entsprechende Verständnis des Betriebsbegriffs des § 11 Satz 1 Halbs. 1 ASiG spricht dessen Wortlaut. Die Vorschrift verwendet zur Beschreibung der organisatorischen Einheiten, in denen Arbeitsschutzausschüsse gebildet werden müssen, den betriebsverfassungsrechtlich geprägten Begriff des Betriebs. Die Systematik des Arbeitssicherheitsgesetzes streitet ebenfalls für dieses Begriffsverständnis. § 8 Abs. 3 Satz 2 ASiG regelt, dass das Vorschlagsrecht der Betriebsärzte oder Fachkräfte für Arbeitssicherheit für arbeitsmedizinische oder sicherheitstechnische Maßnahmen nach § 8 Abs. 3 Satz 1 ASiG vom leitenden Betriebsarzt oder einer leitenden Fachkraft für Arbeitssicherheit ausgeübt wird, wenn eine solche für einen Betrieb oder ein Unternehmen bestellt ist. Die alternative Verwendung der Begriffe Betrieb und Unternehmen zeigt, dass der Gesetzgeber des Arbeitssicherheitsgesetzes Unternehmen, die mehrere Betriebe im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes umfassen, nicht als Betrieb im Sinne des Arbeitssicherheitsgesetzes ansieht. Andernfalls hätte er Unternehmen in § 8 Abs. 3 Satz 2 ASiG nicht ausdrücklich erwähnen müssen. Die den Arbeitsschutzausschüssen vom Gesetzgeber zugedachte Funktion, Anliegen des Arbeitsschutzes und der Unfallverhütung zu beraten, stützt das genannte Begriffsverständnis. Die Arbeitsschutzausschüsse tragen mit ihren Beratungen zur Fortentwicklung von Vorschriften bei, die dem Arbeitsschutz dienen. Diese Vorschriften sollen, um einen möglichst hohen Wirkungsgrad zu erreichen, den vor Ort bestehenden besonderen Betriebsverhältnissen angepasst werden (vgl. BAG, Urteil vom 15. Dezember 2009 - 9 AZR 769/08 - BAGE 133, 1 Rn. 25). Das kann am besten gelingen, wenn die Organe, die über diese Anpassungen beraten, örtlich und nicht betriebsübergreifend oder gar unternehmensweit gebildet werden.
Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber § 11 ASiG durch Art. 2 Nr. 7 des Gesetzes zur Umsetzung der EG-Rahmenrichtlinie Arbeitsschutz und weiterer Arbeitsschutz-Richtlinien vom 7. August 1996 (BGBl. I S. 1246) neu gefasst hat, ohne die Beschreibung der organisatorischen Einheiten, bei denen Arbeitsschutzausschüsse zu bilden sind, zu verändern. Zum Zeitpunkt der Neufassung der Vorschrift war die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. BSG, Urteile vom 12. Juni 1989 - 2 RU 10/88 - juris Rn. 19 und vom 26. Juni 1980 - 8a RU 106/79 - BSGE 50, 171 <172 ff.>) zum Betriebsbegriff des Arbeitssicherheitsgesetzes bereits ergangen. Der Gesetzgeber wollte ersichtlich an dieser höchstrichterlichen Interpretation des Betriebsbegriffs keine Veränderungen vornehmen.
bb) Unter diesen Betriebsbegriff fallen auch Unternehmen, die die arbeitgeberseitige Leitungsmacht für arbeitsschutzrechtliche Entscheidungen zentralisiert haben. Das Ziel der örtlich angepassten Fortentwicklung von Arbeitsschutzvorschriften unter Mitwirkung von Arbeitsschutzausschüssen gebietet auch in diesem Fall die Bildung von Arbeitsschutzausschüssen auf Betriebsebene, weil es zur Erreichung des gesetzlichen Zieles der Aktivierung örtlichen Sachverstandes bedarf. Aus einer von der Klägerin beschriebenen Zentralisierung arbeitgeberseitiger Leitungsmacht in arbeitsschutzrechtlichen Fragen folgt in solchen Fallkonstellationen nicht, dass das gesetzliche Ziel schlechter erreicht werden kann, als bei Bildung eines unternehmensweiten Arbeitsschutzausschusses. Auch in solchen Fällen hat der Arbeitgeber gemäß § 11 Satz 2 ASiG durch seine persönliche Anwesenheit oder durch Anwesenheit eines Beauftragten seine Ansprechbarkeit für Anliegen des Arbeitsschutzes sicherzustellen. Im Übrigen bleibt es ihm unbenommen, auf zentraler Ebene zusätzlich einen entsprechenden Ausschuss einzurichten.
cc) Aus Unionsrecht - insbesondere der Richtlinie 89/391/EWG - folgt nichts anderes. Sofern man der Richtlinie mit der Klägerin einen Grundsatz der effektiven Organisation von Arbeitsschutz entnimmt, folgt daraus nichts für die Frage, auf welcher Ebene eines Unternehmens ein Arbeitsschutzausschuss zu bilden ist. Denn der Arbeitgeber kann durch persönliches Erscheinen im Arbeitsschutzausschuss bzw. Entsendung eines mit entsprechenden Kompetenzen ausgestatteten Vertreters in einen auf Betriebsebene gebildeten Arbeitsschutzausschuss sicherstellen, dass Leitungsmacht in arbeitsschutzrechtlichen Angelegenheiten dort vertreten ist. Alternativ können von ihm in den Arbeitsschutzausschuss entsandte Beauftragte den mit arbeitsschutzrechtlicher Leitungsmacht ausgestatteten Stellen über die Beratungen des Arbeitsschutzausschusses berichten. Dass dies organisatorisch weniger effektiv sein müsste als die Bildung eines zentralen Arbeitsschutzausschusses, ist nicht ersichtlich.
dd) Der Verwaltungsgerichtshof hat die Filiale Ulm der Klägerin zutreffend als Betrieb im Sinne von § 11 Satz 1 ASiG angesehen. Entgegen der Ansicht der Klägerin liegt insbesondere kein atypischer Fall vor, der gebietet, die genannte Filiale ausnahmsweise nicht als Betrieb im Sinne des § 11 Satz 1 Halbs. 1 ASiG anzusehen, weil die arbeitgeberseitige Leitungsmacht für arbeitsschutzrechtliche Entscheidungen bei der Klägerin zentralisiert ist. Der Wortlaut der Vorschrift sieht die Möglichkeit, in atypischen Fällen von der Bildung von Arbeitsschutzausschüssen abzusehen, nicht vor. Ihr Zweck gebietet die Annahme einer solchen Möglichkeit ebenfalls nicht.
b) Es existiert auch keine abweichende sonstige Rechtsvorschrift im Sinne von § 11 Satz 1 Halbs. 1 ASiG, die bestimmt, dass in der Filiale Ulm der Klägerin kein Arbeitsschutzausschuss zu bilden ist. Nach dem Wortlaut der Vorschrift sind nur Rechtsvorschriften geeignet, von der in § 11 Satz 1 ASiG enthaltenen Verpflichtung zur Bildung eines Arbeitsausschusses zu befreien, denen nach den allgemeinen Regeln der Gesetzeskonkurrenz gegenüber § 11 Satz 1 ASiG der Vorrang zukommt. Als sonstige Rechtsvorschriften kommen nur formelle Bundesgesetze und Rechtsvorschriften in Betracht, denen aufgrund formellen Bundesrechts der Vorrang vor § 11 Satz 1 ASiG zukommt. Die Betriebsvereinbarung vom 21. Juli 2016 ist keine Rechtsvorschrift in diesem Sinne. Es handelt sich nicht um ein formelles Bundesgesetz. Die betriebsverfassungsrechtlichen Vorschriften zu ihrem Erlass ermächtigen die Betriebspartner zudem nicht zur Vereinbarung von Regelungen, die von § 11 Satz 1 ASiG abweichen. Gleiches gilt für die auf § 15 SGB VII gestützte Vorschrift DGUV Vorschrift 2.
2. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die verfahrensgegenständlichen Bescheide nicht wegen einer Verletzung der Verpflichtung zur Anhörung des Betriebsrats nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 ASiG aufzuheben sind.
a) Entgegen der Ansicht der Klägerin war vor Erlass der Anordnung vom 25. Juli 2018 nur der Betriebsrat der Filiale Ulm und nicht auch der Gesamtbetriebsrat der Klägerin anzuhören. § 12 Abs. 2 Nr. 1 ASiG verpflichtet die Behörde vor Erlass einer Anordnung nach § 12 Abs. 1 ASiG den Betriebsrat zu hören und mit ihm zu erörtern, welche Maßnahmen angebracht erscheinen. Der von der Vorschrift verwendete Singular deutet an, dass jeweils nur ein Betriebsrat zu hören ist. Der in § 12 Abs. 2 Nr. 1 ASiG genannte Erörterungsgegenstand, der im jeweiligen Einzelfall angebracht erscheinenden Maßnahmen, legt nahe, dass derjenige Betriebsrat anzuhören ist, dessen Zuständigkeitsbereich durch die Maßnahme betroffen ist. Für dieses Verständnis der Vorschrift streitet auch die Gesetzgebungsgeschichte. Die Verpflichtung der Behörde zur Anhörung des Betriebsrats wurde erst auf Anregung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung in den Gesetzentwurf aufgenommen (vgl. BT-Drs. 7/260 S. 6 f., 15, BT-Drs. 7/1085 S. 8, 18). Damit sollte § 89 Abs. 2 BetrVG ausgefüllt werden (vgl. BT-Drs. 7/1085 S. 8), der den Arbeitgeber verpflichtet, den Betriebsrat bei allen im Zusammenhang mit dem Arbeitsschutz oder der Unfallverhütung stehenden Besichtigungen und Fragen und bei Unfalluntersuchungen hinzuzuziehen. § 12 Abs. 2 Nr. 1 ASiG soll damit sicherstellen, dass der Betriebsrat vor Maßnahmen des Arbeitgebers, die von der Behörde erzwungen werden, in dem Umfang zu beteiligen ist, in dem er auch zu beteiligen wäre, würde der Arbeitgeber die Maßnahme aus eigenem Entschluss anordnen.
Die Behörde hatte danach vor Erlass der verfahrensgegenständlichen Anordnung den Betriebsrat der Filiale Ulm anzuhören. Denn dieser - und nicht der Gesamtbetriebsrat der Klägerin - war für die verfahrensgegenständliche Angelegenheit zuständig. Nach § 50 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist der Gesamtbetriebsrat für die Behandlung von Angelegenheiten zuständig, die das Gesamtunternehmen oder mehrere Betriebe betreffen und nicht durch die einzelnen Betriebsräte innerhalb ihrer Betriebe geregelt werden können. Die Bildung eines Arbeitsschutzausschusses in der Filiale Ulm der Klägerin hat keine betriebsübergreifende Auswirkung, sondern betrifft lediglich die Arbeitsabläufe in der Filiale Ulm.
b) Das Berufungsgericht hat ohne Verstoß gegen Bundesrecht angenommen, dass die von ihm unterstellte Verletzung des Anhörungsrechts des Betriebsrats der Filiale Ulm nach § 46 VwVfG unbeachtlich ist. Danach kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts, der nicht nach § 44 VwVfG nichtig ist, nicht alleine deshalb beansprucht werden, weil der Verwaltungsakt unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat.
aa) Die Anwendung des § 46 VwVfG auf Verstöße gegen § 12 Abs. 2 Nr. 1 ASiG ist nicht deswegen ausgeschlossen, weil die Vorschrift nicht Teil des Verwaltungsverfahrensgesetzes ist. Der Anwendungsbereich des § 46 VwVfG erfasst auch Verstöße gegen Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit, die nicht im Verwaltungsverfahrensgesetz enthalten sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Juni 2010 - 3 C 14.09 - BVerwGE 137, 199 Rn. 39; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 10. Aufl. 2023, § 46 Rn. 19).
bb) § 12 Abs. 2 Nr. 1 ASiG regelt kein die Anwendung des § 46 VwVfG ausschließendes sogenanntes absolutes Verfahrensrecht. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist anerkannt, dass eine Verfahrensvorschrift dergestalt mit einer eigenen Schutzfunktion zugunsten Einzelner ausgestattet sein kann, dass sie dem Begünstigten unter Berufung allein auf einen ihn betreffenden Verfahrensmangel, d. h. ohne Rücksicht auf das Entscheidungsergebnis in der Sache, die gerichtliche Durchsetzung der Aufhebung bzw. den Erlass einer verfahrensrechtlich gebotenen behördlichen Entscheidung ermöglicht. Die Frage, ob eine solche verfahrensrechtliche Rechtsposition im Rahmen einer konkreten gesetzlichen Regelung anzunehmen ist, beantwortet sich nach der Zielrichtung und dem Schutzzweck der Verfahrensvorschrift selbst (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Januar 1982 - 4 C 26.78 - BVerwGE 64, 325 <331 f.>). § 12 Abs. 2 Nr. 1 ASiG regelt ausdrücklich keine von § 46 VwVfG abweichende Rechtsfolge einer Verletzung der Pflicht zur Anhörung des Betriebsrats. Der Gesetzesbegründung lässt sich entnehmen, dass die Verpflichtung der Behörde, den Betriebsrat vor Anordnungen nach § 12 Abs. 1 ASiG anzuhören, sein Mitwirkungsrecht nach § 89 Abs. 2 BetrVG, nicht hingegen sein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG ausfüllen sollte (BT-Drs. 7/1085 S. 8, 18). Verletzt der Arbeitgeber ein Mitwirkungsrecht des Betriebsrats, führt dies - anders als die Verletzung seines Mitbestimmungsrechts - grundsätzlich nicht zur Rückgängigmachung seiner unter Verletzung des Mitwirkungsrechts ergangenen Maßnahme (vgl. BAG, Beschluss vom 23. März 2021 - 1 ABR 31/19 - BAGE 174, 233 Rn. 83 ff.). Gleiches muss für behördliche Maßnahmen gelten, die unter Verletzung eines Mitwirkungsrechts des Betriebsrats erlassen werden. Dafür sprechen Sinn und Zweck des § 12 Abs. 2 Nr. 1 ASiG. Die Anhörung des Betriebsrats durch die Behörde dient dazu, die Maßnahmen zu identifizieren, die jeweils angebracht sind. Sie ist mithin kein Selbstzweck, sondern soll der Behörde helfen, die jeweils geeignetste Maßnahme zu erlassen.
Entgegen dem Vorbringen der Klägerin gebietet der Grundsatz der praktischen Wirksamkeit des Unionsrechts, anders als bei § 29 Abs. 2 Satz 1 AsylG (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. März 2021 - 1 C 41.20 - BVerwGE 172, 125), nicht, dass dem Betriebsrat schon im Verwaltungsverfahren Gelegenheit zu geben ist, sämtliche gegen eine seitens der Behörde beabsichtigte Maßnahme sprechenden Gesichtspunkte vorzubringen, andernfalls die Maßnahme keinen rechtlichen Fortbestand haben kann. § 29 Abs. 2 Satz 1 AsylG findet seine unionsrechtliche Grundlage in Art. 14, 15, 34 RL 2013/32/EU. Die genannten Vorschriften sehen in dem von § 29 Abs. 2 Satz 1 AsylG geregelten Fall ausdrücklich ein Anhörungsrecht des Betroffenen vor und beschreiben dies detailliert. Demgegenüber verpflichtet Art. 11 Abs. 1 RL 89/391/EWG lediglich den Arbeitgeber, nicht aber staatliche Stellen, zur Anhörung und Beteiligung der Arbeitnehmer oder deren Vertreter in allen die Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz betreffenden Fragen. Art. 11 Abs. 6 RL 89/391/EWG, auf den die Klägerin ebenfalls verweist, räumt den Arbeitnehmern bzw. ihren Vertretern lediglich das Recht ein, sich gemäß den nationalen Rechtsvorschriften bzw. Praktiken an die für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz zuständige Behörde zu wenden, wenn ihre weiteren Voraussetzungen erfüllt sind.
cc) Im Ergebnis zutreffend ist der Verwaltungsgerichtshof schließlich davon ausgegangen, dass der von ihm unterstellte Verstoß gegen die Verpflichtung der Beklagten zur Anhörung des Betriebsrats nicht zur Aufhebung der verfahrensgegenständlichen Bescheide führt, weil die Verletzung die Entscheidung in der Sache offensichtlich nicht beeinflusst hat. Die Klägerin war zum Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung vom 29. Mai 2019 nach § 11 Satz 1 ASiG zur Bildung eines Arbeitsschutzausschusses in ihrer Filiale verpflichtet (vgl. Rn. 12 ff.). Das der Beklagten nach § 12 Abs. 1 ASiG eingeräumte Ermessen war angesichts der von der Beklagten bei einer Kontrolle der Filiale Ulm festgestellten Defizite hinsichtlich des Arbeitsschutzes auf die Anordnung der Bildung eines Arbeitsschutzausschusses in der Filiale Ulm der Klägerin reduziert.