BVerwG: Pflichten des Rechtsanwalts bei technischer Unmöglichkeit der elektronischen Übersendung eines fristgebundenen Schriftsatzes

Verfahrensrecht

BVerwG, Beschluss vom 19.12.2023, 8 B 26.23
Verfahrensgang: VG Potsdam, 1 K 1742/21 vom 18.01.2023

Leitsatz:

Ist bei fristgebundenen Schriftsätzen die nach § 55d Satz 1 VwGO vorgeschriebene Übermittlung als elektronisches Dokument aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich, gebietet es die anwaltliche Sorgfalt, rechtzeitig von der durch § 55d Satz 3 VwGO eröffneten Möglichkeit Gebrauch zu machen, das Dokument nach den allgemeinen Vorschriften zu übermitteln.

Gründe:

Die Kläger wenden sich gegen einen Vermögenszuordnungsbescheid, mit dem selbstständiges Gebäudeeigentum festgestellt und der Beigeladenen zugeordnet wurde. Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 18. Januar 2023, dem Bevollmächtigten der Beigeladenen am 7. Februar 2023 zugestellt, den angefochtenen Bescheid aufgehoben und die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Die Beigeladene hat am 3. März 2023 gegen die Nichtzulassung der Revision Beschwerde eingelegt. Sie hat diese mit Schriftsatz vom 11. April 2023 (Osterdienstag) begründet. Der Schriftsatz ist unter dem Briefkopf des Prozessbevollmächtigten der Beigeladenen, Rechtsanwalt K., erstellt und von diesem mit einer handschriftlichen Unterschrift versehen worden. Er ist am 11. April 2023 über das beA-Postfach des Rechtsanwalts R. an das Verwaltungsgericht übermittelt worden. Laut dem Prüfvermerk vom 11. April 2023 ist der Schriftsatz nicht qualifiziert signiert. Mit Schriftsatz vom 12. April 2023 hat der Prozessbevollmächtigte der Beigeladenen Wiedereinsetzung in die versäumte Beschwerdebegründungsfrist beantragt. Zugleich hat er eidesstattlich versichert, am Abend des 11. April 2023 sei es ihm nicht möglich gewesen, seine beA-Karte mit dem Kartenlesegerät zu aktivieren. Auf seine Bitte hin habe Herr Rechtsanwalt R. den diesem per Email übermittelten Schriftsatz über dessen eigenen beA-Anschluss an das Gericht übersandt.

Die Beschwerde der Beigeladenen gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Potsdams ist zu verwerfen, weil sie unzulässig ist. Die Beigeladene hat die am 11. April 2023 abgelaufene Frist zur Begründung der Beschwerde gemäß § 133 Abs. 3 Satz 1 VwGO nicht gewahrt, weil sie den Begründungsschriftsatz nicht rechtzeitig formwirksam eingereicht hat (1.). Gründe, die eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtfertigen könnten, liegen nicht vor (2.).

1. Das am 11. April 2023 zur Beschwerdebegründung übersandte elektronische Dokument konnte die Begründungsfrist nicht wahren, weil es nicht formwirksam übermittelt wurde. § 55d Satz 1 VwGO verpflichtet Rechtsanwälte, die Beschwerdebegründung als elektronisches Dokument einzureichen. Wird ein Schriftsatz gemäß § 55a Abs. 1 VwGO als elektronisches Dokument bei Gericht eingereicht, muss er nach § 55a Abs. 3 Satz 1 VwGO mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von ihr (mindestens einfach) signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg (§ 55a Abs. 4 VwGO) eingereicht werden. Keine dieser Alternativen ist hier erfüllt.

Der Schriftsatz ist nicht mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen. Rechtsanwalt R. hat diesen zwar aus seinem beA-Postfach übermittelt. Er hat ihn jedoch weder einfach noch qualifiziert elektronisch signiert und damit nicht erklärt, die Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes übernehmen zu wollen. Auf die Frage, ob er - etwa durch Erteilung einer Untervollmacht - zur Abgabe der Prozesserklärung für die Beigeladene berechtigt gewesen wäre, kommt es danach nicht mehr an.

Die Beschwerdebegründung wurde auch nicht auf einem sicheren Übermittlungsweg übersandt. Ein nicht qualifiziert elektronisch signiertes Dokument wird nur dann auf einem sicheren Übermittlungsweg aus einem besonderen elektronischen Anwaltspostfach im Sinne des § 55a Abs. 3 Satz 1 Alt. 2, Abs. 4 Nr. 2 VwGO eingereicht, wenn die den Schriftsatz verantwortende Person das Dokument selbst versendet (vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. Oktober 2021 - 8 C 4.21 - Buchholz 310 § 55a VwGO Nr. 5 Rn. 4 ff.). Dies war hier nicht der Fall, weil nicht der den Schriftsatz verantwortende Rechtsanwalt K. die Übersendung vornahm.

2. Der Beigeladenen ist auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Der Prozessbevollmächtigte der Beigeladenen hat die Beschwerdebegründungsfrist nicht gemäß § 60 Abs. 1 VwGO unverschuldet versäumt. Sein Verschulden ist der Beigeladenen nach § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen. Ein Verschulden liegt vor, wenn diejenige Sorgfalt außer Acht gelassen wird, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Prozessführenden geboten ist und die ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falles zuzumuten war (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 8. März 1983 - 1 C 34.80 - Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 129 S. 22; Beschlüsse vom 28. Juni 2019 - 8 PKH 3.19 - juris Rn. 13 und vom 26. Januar 2021 - 2 B 59.20 - Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 290 Rn. 3). Ist bei fristgebundenen Schriftsätzen die nach § 55d Satz 1 VwGO vorgeschriebene Übermittlung als elektronisches Dokument aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich, gebietet es die anwaltliche Sorgfalt, rechtzeitig von der durch § 55d Satz 3 VwGO eröffneten Möglichkeit Gebrauch zu machen, das Dokument nach den allgemeinen Vorschriften zu übermitteln. Von einem Rechtsanwalt ist zu erwarten, dass er diese Möglichkeit kennt und zur Fristwahrung nutzt. Der Prozessbevollmächtigte der Beigeladenen hat davon jedoch abgesehen und stattdessen eine nicht formwirksame, elektronische Übermittlung durch einen anderen Rechtsanwalt veranlasst. Gründe, die ein Verschulden insoweit ausschließen könnten, sind weder geltend gemacht noch ersichtlich.